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Bruhn, Stephan; Christian-Albrechts-Universität zu Kiel [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reformer als Wertegemeinschaften: zur diskursiven Formierung einer sozialen Gruppe im spätangelsächsischen England (ca. 850-1050) — Mittelalter-Forschungen, Band 68: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.69837#0531

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IV. „Ein verpflanzter Baum und seine Sprösslinge"

Erneuerung des religiösen Lebens tragen durch die Klostergründung in Le Bec
somit nicht allein in der Normandie, sondern vielmehr im gesamten norman-
nischen Einflussbereich buchstäblich Früchte.
Allerdings erschöpft sich der Aussagegehalt der Passage nicht in dieser ha-
giographisch-kultischen Lesart, wie insbesondere ein Vergleich mit dem ein-
gangs diskutierten Traumgesicht Dunstans in der /Ethelwoldsvita von Wulfstan
Cantor zeigt. Denn im Unterschied zur Baumvision um den Bischof von Win-
chester ist der Protagonist der Vita hier nicht mit demjenigen der Vision iden-
tisch. Herluin mag zwar als göttlich inspirierte Autorität die Wiederherstellung
einer gottgefälligen Gesamtgesellschaft in England auslösen. Die Umsetzung
dieses Unterfangens liegt indes in der Hand seines ehemaligen Weggefährten
Lanfranc, dem als Referenzperson der Offenbarung eine ebenso prominente
Rolle wie deren Träger zugeschrieben wird. Die Vita Herluini propagiert folglich
eine gemeinsame Verantwortung Herluins und Lanfrancs für die Erfüllung des
in der Vision artikulierten Heilsplans, wodurch letztlich beide Akteure zu
Werkzeugen des göttlichen Willens avancieren.
Auch jenseits der Baumvision nimmt Lanfranc eine äußerst prominente
Stellung in der Herluinsvita ein, berichtet Gilbert doch durchaus ausführlich von
dessen Gelehrsamkeit, welche ihn schließlich zum monastischen Leben geführt
habe, sowie der sich an die Bekehrung anschließenden Karriere im geistlichen
wie weltlichen Bereich.1737 Diese Einblicke in den vorzüglichen Charakter und
bedeutungsvollen Werdegang Lanfrancs sind dabei nicht als biographische Ex-
kurse zu deuten, welche vom Autor um ihrer selbst willen thematisiert werden.
Vielmehr bilden sie einen integralen Bestandteil des entfalteten Narrativs, indem
die Beziehung zu Abt Herluin im Speziellen wie auch zum Konvent von Le Bec
im Allgemeinen als zentrale Referenzpunkte fungieren. So kulminiert Lanfrancs
Wirken in der Vita bezeichnenderweise nicht in der Erhebung zum Erzbischof
von Canterbury, sondern in der unmittelbar vor dem Tod Herluins erfolgenden
Weihe der Klosterkirche von Bec, deren Neubau der Prälat einst selbst ange-
stoßen haben soll.1738
Noch deutlicher zeigt sich dieser Rückbezug zur Heimatgemeinschaft in der
Aufgabenteilung, welche Herluin und Lanfranc laut Gilbert im Rahmen der
Klosterverwaltung etabliert hätten: Während der Abt sich aufgrund seiner Er-
fahrungen als ehemals laikaler Funktionsträger um die auswärtigen Belange der
Gemeinschaft gekümmert habe, ohne dabei seine religiösen Pflichten zu ver-
nachlässigen, habe der Lehrer Lanfranc für Ruhe innerhalb des Konventes ge-
sorgt und die gottgewollte Gelehrsamkeit gepflegt. Die Zunahme von Gottes-
furcht und Bildung im Inneren sei mit einer wachsenden Versorgung mit allen
notwendigen Gütern von außen einhergegangen. 1739

1737 Vgl. zum früheren Lebensweg Lanfrancs und seiner Bekehrung zum monastischen Leben Gil-
bert Crsipin, Vita Herluini, Cap. 55-57.
1738 Vgl. zu Lanfrancs Rat an Herluin, das Kloster auszubauen bzw. zu verlegen, Gilbert Crsipin, Vita
Herluini, Cap. 72-74, zur Kirchweihe ebd., Cap. 109-127.
1739 Vgl. hierzu Gilbert Crsipin, Vita Herluini, Cap. 59-62.
 
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