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Omnibus — 1932

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Benn, Gottfried: Das Unaufhörliche
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https://doi.org/10.11588/diglit.62261#0035
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DAS UNAUFHÖRLICHE
VON GOTTFRIED BENN*)
I.
Wir wissen von der Schöpfung nichts, als daß sie sich verwandelt —, und das Un-
aufhörliche soll ein Ausdruck für diesen weitesten Hintergrund des Lebens sein, sein
elementares Prinzip der Umgestaltung und der rastlosen Erschütterung seiner Formen.
Das ist gedanklich keine Entdeckung, jeder wird wissen, daß hinter diesem Begriff
Erlebnismaterial alter und neuer Menschheit steht. Heraklits Wogengefühl gehört hier-
her, daß alles fließt und daß es dieselben Flüsse nicht mehr sind, auch wenn wir in
dieselben Flüsse steigen, ebenso wie der Schicksalsgedanke des Orients und der Hellenen,
der darauf hinausläuft, daß auch über dem Göttergeschlecht, das die Menschen regiert,
noch eine höhere weitertreibende Ordnung steht; in der deutschen Literatur ist dieser
Gedanke klassisch geworden in Fausts berühmtem Wort: „Gestaltung, Umgestaltung,
des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung“, und aus unserem Jahrhundert steht Zarathustras
großer Mittag über ihm: „du heiterer, schauerlicher Mittagsabgrund — wann trinkst
du meine Seele in dich zurück“ — dieser Mittag, dieser Abgrund „sich selber segnend
als das, was ewig wiederkommen muß: als ein Werden, das kein Sattwerden, keinen
Überdruß, keine Müdigkeit kennt“ denn „alles, was war, ist ewig, das Meer spült es
wieder her“ —, ist also das Unaufhörliche auch kein religiöser oder philosophischer
Begriff, so will er doch ein universelles Prinzip sein, das seit Anfang in der Menschheit
lebt und das Beziehung hat zum Schicksalhaften, daher beginnt der Text:
„Das Unaufhörliche:
großes Gesetz.“
Auf das Individuum angewendet ist das Unaufhörliche allerdings ein tragisches, schmerz-
liches Gesetz, denn das Individuum ist so, daß es das „Stirb“ mehr empfindet als das
„Werde“, daß es leidet, weil alles gleitet und vorüberrinnt, daher:
„das Unaufhörliche:
der dunkle Trank.“
Aber das Unaufhörliche ist nicht nur ein dunkles Prinzip, es zieht auch noch alles Dunkle
an sich heran, es ist nicht optimistisch, es will nicht im Wohlstand leben, wo es angenehm
ist, vielmehr: . .
„wenn es in Blute steht,
wenn Salz das Meer
und Wein der Hügel gibt,
ist nicht die Stunde“,
sondern es lebt da, es verdichtet sich da zu einem Gefühl, wo die Dinge zu Ende gehn,
wo ihnen „das Herz bricht vor Glück und Göttern“:
„da ist wohl Färb und Stunde“ —,
es spricht aus Trümmern, aus vereinsamten Meeren der Mythe:
Am 21. November 1931 fand in der Philharmonie in Berlin die Uraufführung des Oratoriums
von Benn und Hindemith unter Leitung von Klemperer statt. Benn gibt seiner Dichtung dieses Vor-
wort mit (Schott Verlag Mainz).

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