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Poulsen, Frederik
Der Orient und die frühgriechische Kunst: mit 197 Abbildungen — Leipzig, Berlin: Druck und Verlag von B.G. Teubner, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.52590#0123
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Charakter der geometrischen Kunst; orientalische Motive auf den Dipylonvasen

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kern in Verbindung brachte, für fremde Einflüsse besonders empfänglich sein, und so sehen
wir in der Tat auch, daß orientalische Elemente sogar in der Dekoration der Dipylonvasen
vorkommen. Schon oben haben wir die beliebten Tanzchöre auf diesen Vasen und auf den
böotischen Glockenfiguren mit denen der phönikischen Metallschalen in Verbindung gebracht
(S. 36). Diese Behauptung läßt sich noch durch ein besonders amüsantes Stück erhärten,
eine Dipylonpyxis, die sich in dem Wiener Industriemuseum befindet und angeblich auf
Keos erworben wurde. Hier hat der unbehilfliche griechische Künstler versucht die Falten
der Röcke der phönikischen Frauenfiguren zu veranschaulichen, aber es ist nur Zickzack-
gekritzel daraus geworden. In anderen Fällen mögen kyprische bemalte Vasen das Motiv
der Tanzreigen vermittelt haben, Vasen wie z. B. ein im Britischen Museum befindlicher,
kyprischer Napf, in dem Frauen zugleich tanzen und von hohen Lilien Blüten pflücken. Eine
ähnliche Umbildung des ursprünglichen Motives, daß die Frauen wie auf der Dalischale in
einem Tempel mit Liliensäulen tanzen, findet sich auf einer Dipylonschale, wo die Tänzerinnen
Zweige oder Blüten in den Händen tragen.1) Daß die Frauen der Dipylonvasen und der
folgenden Zeit in langen Schleppkleidern auftreten2), müssen wir vielleicht auch syrischem
Einfluß zuschreiben; die Schleppen sind für die Priester und die Frauen der hittitischen Re-
liefs charakteristisch.3)
Was die Männer betrifft, so kommt die Darstellung, die wir einmal auf einer phöni-
kischen Schale beobachten (S. 32), daß ein Reiter zugleich ein Handpferd führt, schon auf
den späten Dipylonvasen vor.4) Die Leistung, die damit in Verbindung steht, daß ein Reiter
sich von dem ermüdeten auf das frische Pferd schwingt, wird uns in der Ilias (0 679ff.) be-
schrieben. Das geläufige Motiv der Dipylonvasen, daß ein Pferd an der Krippe angebunden
steht5), haben wir auch auf einer phönikischen Bronzeschale vertreten gefunden (oben Abb. 14).
Und das ebenso bekannte Motiv einer Dipylonvase und eines Goldbleches, daß ein Mann
wie aufgehängt zwischen zwei Löwen schwebt, die ihn mit offenem Rachen zu verschlingen
drohen6), ist eines der beliebtesten in der ganzen altorientalischen Kunst und von Meso-
potamien über Syrien nach Griechenland gewandert.7) Auch in der Dekoration gibt es Einzel-
heiten, die durch orientalische Einflüsse erklärt werden müssen, so besonders die häufige,
rein dekorative Verwendung von Schlangen, die nicht nur auf den großen Kannen und Grab-
gefäßen8), sondern auch auf Näpfen erscheinen.9) Kyprische Vasen10) oder bronzene Drei-
1) Walters, Catal. of Chypriote pottery of Brit. Mus. I Tat. VII C 838. Perrot VII 222 Fig·. 96.
2) Poulsen: Dipylongräber S. 123. Studniczka: Altgriechische Tracht S. 95 und 98.
3) Qarstang S. 151. Perrot IV 672f. Fig. 333—334. 4) Petersen, Österr. Jahresh. VIII 1905 S. 79.
5) Perrot VII 158 Fig. 40. Poulsen: Dipylongräber S. 98.
6) Perrot VII 181 Fig. 66. Poulsen o. c. S. 130 Anm. 4—5. Furtwängler: Kleine Schriften I Taf. 16, 2.
7) Ward: Seal cylinders of Western Asia S. 169. Vgl. doch auch den menschenfressenden Löwen
in der ägyptischen Kunst, Lanzone: Dizionario di mitologia egizia Taf. XV. Vgl. ferner den Mann, der im
Knielaufschema zwei Löwen am Halsband gepackt hat, auf der hittitischen Statuenbasis, Qarstang S. 142
Anm. 4. Sendschirli IV 365 Abb. 265.
8) Beiläufig sei erwähnt, daß meine in dem Dipylonbuch S. 45f. geäußerte Vermutung, daß auch die
großen Kannen als Orabvasen gedient haben und von den Qrabamphoren mit Prothesisdarstellungen ab-
gelöst seien, sich soeben bestätigt hat. Das Britische Museum hat eine Kanne „strengen Stiles“ aus Athen
erworben, auf der der breite Streifen um die Mitte des Vasenkörpers eine sehr unbehilfliche, viermal wieder-
holte Prothesisdarstellung enthält, während der übrige Vasenkörper mit ornamentierten Streifen wie die
übrigen Kannen dieser Art versehen ist.
9) Zusammengestellt von Wide, Archiv für Religionswissenschaft XII 1909 S. 221 ff. Vgl. 1. c. Abb. 5
mit Poulsen: Dipylongräber S. 46 und 97. Besonders zahlreiche Beispiele im Museum von Leiden.
10) Vgl. z. B. Cesnola: Cyprus S. 101. Helbig: Hom. Epos2 S. 383.
 
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