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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0055
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2. Inzest und Ehe

von Kapitel 3 dem incestuosus gegenübergestellt werden. Für diese Deutung
spricht hingegen auch, dass bei den Presbytern und Klerikern dann dasselbe
Vergehen bestraft wird wie auch bei den inzestuösen ecclesiastici in Kapitel 2,
deren Vergehen auch nicht explizit genannt wird.
Der Schwerpunkt der ersten drei Kapitel des Königskapitulars liegt ein-
deutig nicht auf der Definition von Inzest, sondern auf dessen Bekämpfung. Die
Bekämpfung wird dabei nicht als ein rein kirchenrechtliches Problem betrachtet.
Vielmehr kommen Instrumente des weltlichen Rechts zum Einsatz und es wird
versucht, Druck auf die soziale Umgebung der Inzestuösen aufzubauen, um ein
Ende der inzestuösen Verbindung zu erreichen.
2.3 Pippin und die Inzestbekämpfung
2.3.1 Inzestbekämpfung als Bekämpfung innerfamiliärer Konkurrenten?
Für Pippins Engagement gegen Inzest sind im Laufe der Forschung verschiedene
Motive genannt worden. Ein politisches Motiv für die Inzestbekämpfung im
Königskapitular könnte sich aus der These Gunther Wolfs ergeben, dass Pippins
Bruder Karlmann vor seinem Rückzug ins Kloster in einer inzestuösen Verbin-
dung gelebt habe.46 Wolf sieht sowohl Karlmanns Eintritt ins Kloster 747 als auch
das Kapitel zu Inzest auf dem Konzil von Soissons47 durch diesen Inzestfall
motiviert, geht aber in seinen Überlegungen nicht über die 740er Jahre hi-
naus. Verfolgt man die Auswirkungen von Wolfs Gedanken jedoch bis in die
750er Jahre weiter, so drängen sich interessante Schlussfolgerungen auf. Sollte
Karlmann tatsächlich in einer inzestuösen Verbindung gelebt haben und sollten
aus dieser Verbindung auch Drogo und seine Geschwister hervorgegangen sein,
so hätte sich hier eine Steilvorlage für Pippin geboten, um den Machtanspruch
seiner Neffen endgültig zu untergraben. Auch die Inzestgesetzgebung des Kö-
nigskapitulars, immerhin in deutlich zeitlicher Nähe zu Karlmanns Reise ins
Frankenreich 754, auch wenn der genaue Zeitablauf undeutlich ist,48 könnte
dann als Maßnahme in den innerfamiliären Auseinandersetzungen verstanden
werden, ähnlich wie Wolf schon die Inzestbestimmung von Soissons gedeutet
hat.
Wolfs Miszelle von 1992 wurde bisher nicht viel Aufmerksamkeit der For-
schung zuteil.49 Sollte seine Theorie bezüglich Karlmanns Gemahlin zutreffen,
wäre dies natürlich für die Interpretation des Königskapitulars von großer Re-
levanz, weshalb hier eine kritische Überprüfung sinnvoll erscheint.
Quellentexte, die eine inzestuöse Verbindung Karlmanns direkt nennen,
kann Wolf nicht beibringen. Vielmehr baut er seine These auf verschiedenen

46 Vgl. Wolf, Gründe.

47 Zitiert oben Anm. 7.

48 Vgl. Tangl, Sendung, S. 18f.

49 Beispielsweise Ubl, Inzestverbot, bedenkt Wolf mit wohlwollendem Schweigen.
 
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