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2. Inzest und Ehe
schaft entsteht. In der Antike war die Patenschaft in der Regel von den leiblichen
Eltern übernommen worden.72 Die Frage, ob die Patenschaft ein Ehehindernis
bildet, stellte sich also für die patristische Zeit nicht, da die Eltern ohnehin bereits
in ihrer Eigenschaft als Eltern unter das Inzestverbot fielen. Ab dem 6. Jahrhun-
dert wurde die Patenschaft zunehmend nicht mehr von den eigenen Eltern,
sondern von Dritten übernommen, eine Praxis, die sich schließlich durchsetzen
sollte.73 Die durch die Patenschaft entstandene geistige Verwandtschaft wurde
während des 6. und 7. Jahrhunderts im westlichen Kirchenrecht noch nicht als
Ehehindernis aufgefasst.74 Jedoch fand ein Eheverbot zwischen Pate und Pa-
tentochter bereits in den 530er Jahren Aufnahme ins römische Recht. Der Codex
lustinianus verbietet zwar diese Konstellation geistiger Verwandtschaft, geht
aber nicht auf die umgekehrte Situation (Patin und Patensohn) oder entferntere
geistliche Verwandte ein.75 Die byzantinische Synode in Trullo 691/692 be-
schäftigte sich erstmals von kirchlicher Seite mit dem Problem und weitete die
Bestimmung Justinians vom 1. Grad auf den 2. Grad geistlicher Verwandtschaft
aus.76 Dadurch wurde erstmals ein Eheverbot zwischen einem Paten und der
verwitweten Mutter des Taufkindes ausgesprochen.77
Papst Sergius I. (687-701), dessen Verhältnis zu Kaiser Justinian II. ohnehin
nicht das Beste war, lehnte die Unterzeichnung des Quinisextum zunächst ab.78
Erst Papst Konstantin (708-715) reiste 710/711 nach Konstantinopel, wo eine
Kompromisslösung zwischen byzantinischen und päpstlichen Standpunkten
gefunden werden konnte und die päpstliche Seite auch die Inzestbestimmungen
des Quinisextum anerkannte.79 Damit galt das Ehehindernis der geistlichen
72 Vgl. Jussen, Patenschaft und Adoption, S. 144f.
73 Vgl. Jussen, Patenschaft.
74 Vgl. Jussen, Patenschaft und Adoption, S. 28.
75 Codex lustinianus 5,4,26,2, S. 413 Z. 23-26: Ea videlicet persona omnimodo ad nuptias venire pro-
hibenda, quam aliquis, sive alumna sit sive non, a sacrosancto suscepit baptismate, cum nihil aliud sic
inducere potest paternam adfectionem et iustam nuptiarum prohibitionem, quam huiusmodi nexus, per
quem deo mediante animae eorum copulatae sunt.
76 Vgl. Ohme, Concilium, S. 87 f.
77 Concilium in Trullo c. 53, S. 45 Z. 12-18: 'Etihöt] peiCrnv f) Kara TO nveupa oiKeiOTrig T^ tcov
oropaTorv auva^eiag &yvmp&v ö& &v tlqi tötiolg tlv^ &K tov dyiou Kal acüTpQicböoug
ßa^TiapaTOc; Tialdas dvaö&xopa/ov;, pexa tovto t^ &k&wüv ppTpaai xqQ&vovaau;
yapiKÖv QuvaAAdaaovTa^ awoiKiGLOV, OQ^opev, and tov napovroc; ppö&v tolovtov
TiQaxOfjvai. Ei ö& uve; pexa tov naQOVTa Kavova qxuQaOeiev tovto tiolovvt&g tiqütotvtro;
piv oi TOLOVTOL ^iQTdaOüaav Tob naQavdpov tovtov ouvolkcoiov, eneiTa ö& Kai Tob; tccv
71OQV&VÖVT0V iniTipioig unoßApOijTCücrav. Eine deutsche Übersetzung bietet Ohme, Concili-
um, S. 247: „Weil die geistliche Verwandtschaft größere Bedeutung hat als die körperliche
Verbindung, und wir erfahren haben, daß an einigen Orten einige, die für Kinder in der heiligen
und heilspendenden Taufe die Patenschaft übernommen haben, danach mit den verwitweten
Müttern jener (Kinder) eine eheliche Verbindung eingegangen sind, bestimmen wir, daß ab
sofort solches nicht mehr getan werden soll. Wenn aber einige nach dem gegenwärtigen Kanon
dabei ertappt werden, daß sie dies tun, so sollen diese zuerst von diesem illegitimen Zusam-
menleben Abstand nehmen, danach aber auch den Bußstrafen für Hurer unterworfen werden."
78 Vita Sergii c. 6-7, in: Liber pontificalis, Bd. 1, S. 372f.
79 Zu den strittigen Punkten, zu denen nicht die Inzestbestimmungen zählten, vgl. Ohme, Anti-
römische Kanones.
2. Inzest und Ehe
schaft entsteht. In der Antike war die Patenschaft in der Regel von den leiblichen
Eltern übernommen worden.72 Die Frage, ob die Patenschaft ein Ehehindernis
bildet, stellte sich also für die patristische Zeit nicht, da die Eltern ohnehin bereits
in ihrer Eigenschaft als Eltern unter das Inzestverbot fielen. Ab dem 6. Jahrhun-
dert wurde die Patenschaft zunehmend nicht mehr von den eigenen Eltern,
sondern von Dritten übernommen, eine Praxis, die sich schließlich durchsetzen
sollte.73 Die durch die Patenschaft entstandene geistige Verwandtschaft wurde
während des 6. und 7. Jahrhunderts im westlichen Kirchenrecht noch nicht als
Ehehindernis aufgefasst.74 Jedoch fand ein Eheverbot zwischen Pate und Pa-
tentochter bereits in den 530er Jahren Aufnahme ins römische Recht. Der Codex
lustinianus verbietet zwar diese Konstellation geistiger Verwandtschaft, geht
aber nicht auf die umgekehrte Situation (Patin und Patensohn) oder entferntere
geistliche Verwandte ein.75 Die byzantinische Synode in Trullo 691/692 be-
schäftigte sich erstmals von kirchlicher Seite mit dem Problem und weitete die
Bestimmung Justinians vom 1. Grad auf den 2. Grad geistlicher Verwandtschaft
aus.76 Dadurch wurde erstmals ein Eheverbot zwischen einem Paten und der
verwitweten Mutter des Taufkindes ausgesprochen.77
Papst Sergius I. (687-701), dessen Verhältnis zu Kaiser Justinian II. ohnehin
nicht das Beste war, lehnte die Unterzeichnung des Quinisextum zunächst ab.78
Erst Papst Konstantin (708-715) reiste 710/711 nach Konstantinopel, wo eine
Kompromisslösung zwischen byzantinischen und päpstlichen Standpunkten
gefunden werden konnte und die päpstliche Seite auch die Inzestbestimmungen
des Quinisextum anerkannte.79 Damit galt das Ehehindernis der geistlichen
72 Vgl. Jussen, Patenschaft und Adoption, S. 144f.
73 Vgl. Jussen, Patenschaft.
74 Vgl. Jussen, Patenschaft und Adoption, S. 28.
75 Codex lustinianus 5,4,26,2, S. 413 Z. 23-26: Ea videlicet persona omnimodo ad nuptias venire pro-
hibenda, quam aliquis, sive alumna sit sive non, a sacrosancto suscepit baptismate, cum nihil aliud sic
inducere potest paternam adfectionem et iustam nuptiarum prohibitionem, quam huiusmodi nexus, per
quem deo mediante animae eorum copulatae sunt.
76 Vgl. Ohme, Concilium, S. 87 f.
77 Concilium in Trullo c. 53, S. 45 Z. 12-18: 'Etihöt] peiCrnv f) Kara TO nveupa oiKeiOTrig T^ tcov
oropaTorv auva^eiag &yvmp&v ö& &v tlqi tötiolg tlv^ &K tov dyiou Kal acüTpQicböoug
ßa^TiapaTOc; Tialdas dvaö&xopa/ov;, pexa tovto t^ &k&wüv ppTpaai xqQ&vovaau;
yapiKÖv QuvaAAdaaovTa^ awoiKiGLOV, OQ^opev, and tov napovroc; ppö&v tolovtov
TiQaxOfjvai. Ei ö& uve; pexa tov naQOVTa Kavova qxuQaOeiev tovto tiolovvt&g tiqütotvtro;
piv oi TOLOVTOL ^iQTdaOüaav Tob naQavdpov tovtov ouvolkcoiov, eneiTa ö& Kai Tob; tccv
71OQV&VÖVT0V iniTipioig unoßApOijTCücrav. Eine deutsche Übersetzung bietet Ohme, Concili-
um, S. 247: „Weil die geistliche Verwandtschaft größere Bedeutung hat als die körperliche
Verbindung, und wir erfahren haben, daß an einigen Orten einige, die für Kinder in der heiligen
und heilspendenden Taufe die Patenschaft übernommen haben, danach mit den verwitweten
Müttern jener (Kinder) eine eheliche Verbindung eingegangen sind, bestimmen wir, daß ab
sofort solches nicht mehr getan werden soll. Wenn aber einige nach dem gegenwärtigen Kanon
dabei ertappt werden, daß sie dies tun, so sollen diese zuerst von diesem illegitimen Zusam-
menleben Abstand nehmen, danach aber auch den Bußstrafen für Hurer unterworfen werden."
78 Vita Sergii c. 6-7, in: Liber pontificalis, Bd. 1, S. 372f.
79 Zu den strittigen Punkten, zu denen nicht die Inzestbestimmungen zählten, vgl. Ohme, Anti-
römische Kanones.