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Breternitz, Patrick; Universität zu Köln [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 12): Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel: das Königskapitular Pippins des Jüngeren — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74404#0184
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5.2 Umgang mit der Lex Salica

183

chinburgen keine nennenswerten Veränderungen gegenüber der Fassung A,
auch wenn die Fassungen D und E wie bereits erwähnt unter Auslassung von
Lex Salica (A) 57,3 dem entsprechenden Titulus eine etwas andere Stoßrichtung
geben.140
Betrachtet man die drei einschlägigen Tituli der Lex Salica zusammen, so
kann erstens festgehalten werden, dass häufig sieben Rachinburgen in Erschei-
nung treten. In der Regel werden sie als Kollektiv gedacht, das gemeinsam
handeln muss. Dies zeigt sich insbesondere bei der Justizverweigerung, wenn
nicht nach individueller Schuld gefragt wird, sondern danach, ob die Rachin-
burgen als Gruppe die Lex Salica gekündet haben oder nicht. Auf der anderen
Seite kann aber auch eine Untergruppe der sieben Rachinburgen Sonderaufga-
ben übernehmen, so im Rahmen der Durchsetzung eines Treugelöbnisses.
Zweitens lässt sich anhand der Lex Salica zeigen, dass es im Tätigkeitsbereich
eines mallum mehr als sieben Rachinburgen gegeben haben muss oder kann.
Drittens muss offenbleiben, was die Konsequenzen dieses Befundes für die
Fragen nach der Rekrutierung und Dauerhaftigkeit sind. Zumindest lässt sich
nicht sicher aus der Lex Salica allein beweisen, dass die Rachinburgen ihre Tä-
tigkeit nicht dauerhaft ausübten, auch wenn nicht jeder Rachinburge bei jeder
causa zum Einsatz kam.
Viertens ist auffällig, dass auch die jüngeren Lex Salica-Fassungen von Ra-
chinburgen und nicht von Schöffen sprechen. Die Fassung E, deren Entstehung
im Rahmen der Gesetzesinitiative Karls des Großen von 789 Karl Ubl sehr
wahrscheinlich machte,141 und die Fassung K aus der Zeit um 802 wurden nach
der mutmaßlichen Gerichtsreform Karls redigiert, was jedoch keinen Nieder-
schlag in der Redaktion gefunden hat142. Weder wurden die rachinburgii be-
grifflich durch scabini ersetzt noch gab es inhaltliche Anpassungen, die die Ra-
chinburgen als nun verfestigtes Amt zu erkennen geben würden. In den Kapi-
tularien aus der Zeit Karls des Großen und Ludwigs des Frommen, die die Lex
Salica ergänzen sollten, werden weder Rachinburgen noch Schöffen behan-
delt.143
Wer führte also nun die Schöffenverfassung im Frankenreich ein? Die Frage
lässt sich nicht nur schwer beantworten, sondern sie scheint von vornherein
falsch gestellt zu sein. Denn sie setzt voraus, dass Herrscher wie Karl der Große
sozusagen aus dem Nichts heraus Lösungen für Probleme entwickelten und
Reformen auf den Weg brachten. Löst man sich von einem solchen Herrscherbild
und geht von einer pluralistischen Rechtslandschaft im Frankenreich aus, be-
deuten die zeitlich überlappenden Belege für Rachinburgen und Schöffen keinen
Widerspruch. Vielmehr sind die frühen Belege für Schöffen ein Hinweis darauf,

140 Lex Salica (C) c. 57, S. 328-332 Z. 2-53; Lex Salica (D) c. 92, S. 230-232; Lex Salica (E) c. 91, S. 230-
232; Lex Salica (K) c. 60, S. 523 Z. 2-21; Lex Salica (S) c. 4, S. 318f. Z. 3-22.

141 Vgl. Ubl, Leges-Reform.

142 Vgl. Ubl, Sinnstiftungen, S. 174-181.

143 Capitulare legibus additum, in: MGH Capit. 1, Nr. 39, S. 111-114; Capitula legi addita, ebd.,
Nr. 134, S. 267-269; Capitulare legibus addenda, ebd., Nr. 139, S. 280-285; Capitula legi Salicae
addita, ebd., Nr. 142, S. 292f.
 
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