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Schreurs, Anna; Ligorio, Pirro [Ill.]
Antikenbild und Kunstanschauungen des neapolitanischen Malers, Architekten und Antiquars Pirro Ligorio (1513 - 1583) — Köln, 2000

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.22612#0234
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VI. Das Antikenbild Pirro Ligorios

Im „kunsttheoretischen" Traktat steht Ligorios
Bemühen im Vordergrund, die Werte der antiken
Kunst für die Künstler seiner Zeit wieder geltend
und wirksam zu machen. Selbst die geistigen Strö-
mungen der Zeit nach dem Tridentinum ließen ihn
- wie im letzten Kapitel angedeutet wurde - nicht
grundsätzlich von dieser Zielsetzung abweichen.
Auch in seiner nach dem „Trattato" entstandenen
alphabetischen Enzyklopädie postulierte er unbeirrt
in jedem nur denkbaren Zusammenhang die Nach-
ahmung der antiken Kunst.

Seiner Ankündigung, er wolle über „einige Dinge
schreiben, die die Regeln der Malerei dafür darstellen,
wie man die Figuren [wohljvermessen macht; und zvie
die Tugend der Skulptur und der Malerei in den Dingen
einer regehnäßigen („semitriato ") Zeichnung und in der
Erfindung besteht1'1, kommt der Antiquar im »Trat-
tato" - nach seitenlangem Lamento über die Ver-
fehlungen in der Kunst seiner Zeit - nicht mehr
nach.2 Zwar handelt er noch kurz über „jene, die sich
durch ihre Vortrefflichkeit in den [...] Künsten einen un-
sterblichen Namen erworben haben"3, doch bleibt es
bei der Erwähnung einiger weniger Maler. Die
Bildhauer, die er nach den Malern zu besprechen
plante, hat er nicht mehr behandelt.4

Es ist möglich, daß er sein Vorhaben nicht reali-
sierte, da er in eben jener Zeit das große Projekt der
alphabetischen Enzyklopädie in Angriff nahm, in
der eine Velzahl antiker Maler und Bildhauer sowie
antike Skulpturen und Bauwerke besprochen wer-
den. Nimmt man diese Ausführungen und jene der
übrigen antiquarischen Bände zusammen, die von
antiken Künstlern und Werken handeln, so ergibt
sich ein Textkonvolut, das eine Beantwortung der

Frage erlaubt, welche besondere Qualitäten es wa-
ren, die der Antiquar mit der Kunst des Altertums
verband und die er seiner eigenen Zeit vor Augen
halten wollte.

Im folgenden werden zuerst Ligorios Texte zu
den antiken Künstlern vorgestellt, um dann, am
Beispiel der von ihm beschriebenen antiken Skulp-
turen5, seine Bewertungsmaßstäbe weiter zu präzi-
sieren.

A. Die antiken Künstler

i. Einführimg:
Die Auswahlkriterien des Antiquars

In seinem Traktat „ Uber die Erhabenheit der antiken
Künste" stellte Ligorio seinen Künstlerkollegen die
antiken Meister als Vorbilder vor Augen. Deren
Werke gelte es nachzuahmen, um zu einer vortreff-
lichen Kunst zu gelangen. Dementsprechend trug
er in den antiquarischen Bänden ein umfangreiches
Material über die antiken Künstler zusammen. Die
entsprechenden Textpassagen ergeben einen eige-
nen kleinen Traktat, der den Titel „ Über die Viten
und Werke der antiken Künstler" tragen könnte.6

Bevor hier jedoch weiter der Frage nachgegangen
wird, welche Qualitäten der Antiquar im einzelnen
als vorbildlich für das zeitgenössische Kunstschaf-
fen herausstellte, soll kurz Ligorios Verfahren bei
der Zusammenstellung seiner Künstlerviten darge-
legt werden.

Viele Künstler verdanken ihre Erwähnung dem

1 Anhang, Trattato, Fol. zjr.

2 Auch in der frühesten Ankündigung des „kunsttheoreti-
schen" Traktats erwähnt Ligorio, er wolle „in einem eigenen Trak-
tat [...] in weiterem Ausmaß über die Regeln und die Symmetrie der
Malerei und über einige [Regeln] der Architektur11 handeln; vgl. An-
hang, Nr. 328.

3 Anhang, Trattato, Fol. 2~]v.

4 Anhang, Trattato, Fol. 29V.

5 Zu seiner Bewertung der Architektur s. Kap. III. A.3. u. III.
B.i.

6 Siehe Anhang, V. „Maestri anficht" - Textpassagen zu antiken
Künstlern aus den antiquarischen Bänden.

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