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Erstes Kapitel. Das Museum von Avignon.
und merkantilen Selbstständigkeit von Pisa, Florenz, Genua verschwand;
wie es erst als ächt französischer, königlicher Hafen seit dem Ausster-
ben der Anjou zu neuer Blüthe gelangte; wie der Hof zu Angers oder
in Lothringen, dann zu Tours, Orleans, Paris maaßgebend ward
für die südliche Besitzung; wie endlich das religiöse Bewußtseyn der
Provenzalen, anstatt in einem großen künstlerischen Werk, wie dem
eines Dante, concentrirt und der bildenden Kunst zugeformt zu wer-
den, so hier sich spaltete in den einfachen, auf sittliches Lebeu uud My-
stik gerichteten Glauben verfolgter Waldensergemeiuden und den exclu-
siven, die päpstliche, überhaupt die Kircheugewalt mit dem Schwert
verfechtenden katholischen Eifer. Und dieser letztere vermochte nicht an
den päpstlichen Hof in seiner beschränkten, politischen Stellung gegen-
über Frankreich, in seiner Geldnoth und der iunern Zerspaltung, auch
Entsittlichung, dauernd die Thätigkeit einer Schule von Giotto oder
Simone zu knüpfen. Jene protestantische Richtung aber, die bekannt-
lich im 16. Jahrhundert im Süden fast die Herrschaft gewonnen, mußte
dann gerade an den Norden, an Oberdeutschlaud sich anlehnen, und
von dort aus auch künstlerische Bedürfnisse befriedigen.
Doch verweilen wir nicht allzu lang bei den fast verklungenen
Tönen einer mitten in der harmonischen Entwicklung unterbrochenen
Welt: noch bietet uns Avignon in seinem Straßenleben, in einzelnen
Kirchen, vor allem in seinem an griechischen Reliefs und Statuen so
reichen Museum, welches in sich einen großen Theil des so bekannten
Närrischen in Venedig ausgenommen hat, in einzelnen trefflichen Wer-
ken der italienischen Schule, so der bewuuderuswerthen Leda aus Leo-
nardas Werkstatt, in der trefflichen Sammlung ganz Südfrankreich
umfassender mittelalterlicher Münzen reichen Stoff zur Betrachtung
dar, doch genüge es nur hier auf ihn aufmerksam gemacht, nicht ihn
dargelegt zu haben. Die Neiseunruhe, welche die meisten Fremden in
Avignon vom Dampfschiff auf die Eisenbahn treibt, hat auch uns an-
gesteckt schon heute Nachmittag weiter zu eilen, um wo möglich bei
Tag noch Marseille zu erreichen.
Erstes Kapitel. Das Museum von Avignon.
und merkantilen Selbstständigkeit von Pisa, Florenz, Genua verschwand;
wie es erst als ächt französischer, königlicher Hafen seit dem Ausster-
ben der Anjou zu neuer Blüthe gelangte; wie der Hof zu Angers oder
in Lothringen, dann zu Tours, Orleans, Paris maaßgebend ward
für die südliche Besitzung; wie endlich das religiöse Bewußtseyn der
Provenzalen, anstatt in einem großen künstlerischen Werk, wie dem
eines Dante, concentrirt und der bildenden Kunst zugeformt zu wer-
den, so hier sich spaltete in den einfachen, auf sittliches Lebeu uud My-
stik gerichteten Glauben verfolgter Waldensergemeiuden und den exclu-
siven, die päpstliche, überhaupt die Kircheugewalt mit dem Schwert
verfechtenden katholischen Eifer. Und dieser letztere vermochte nicht an
den päpstlichen Hof in seiner beschränkten, politischen Stellung gegen-
über Frankreich, in seiner Geldnoth und der iunern Zerspaltung, auch
Entsittlichung, dauernd die Thätigkeit einer Schule von Giotto oder
Simone zu knüpfen. Jene protestantische Richtung aber, die bekannt-
lich im 16. Jahrhundert im Süden fast die Herrschaft gewonnen, mußte
dann gerade an den Norden, an Oberdeutschlaud sich anlehnen, und
von dort aus auch künstlerische Bedürfnisse befriedigen.
Doch verweilen wir nicht allzu lang bei den fast verklungenen
Tönen einer mitten in der harmonischen Entwicklung unterbrochenen
Welt: noch bietet uns Avignon in seinem Straßenleben, in einzelnen
Kirchen, vor allem in seinem an griechischen Reliefs und Statuen so
reichen Museum, welches in sich einen großen Theil des so bekannten
Närrischen in Venedig ausgenommen hat, in einzelnen trefflichen Wer-
ken der italienischen Schule, so der bewuuderuswerthen Leda aus Leo-
nardas Werkstatt, in der trefflichen Sammlung ganz Südfrankreich
umfassender mittelalterlicher Münzen reichen Stoff zur Betrachtung
dar, doch genüge es nur hier auf ihn aufmerksam gemacht, nicht ihn
dargelegt zu haben. Die Neiseunruhe, welche die meisten Fremden in
Avignon vom Dampfschiff auf die Eisenbahn treibt, hat auch uns an-
gesteckt schon heute Nachmittag weiter zu eilen, um wo möglich bei
Tag noch Marseille zu erreichen.