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Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0041
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auch das Porträt des Jacopo del Conte gelangt ist, welches Fulvio Orsini besass. Nach
dem Tode des Baron Alquier wurde das Gemälde von M. Chaix d’Est-Ange in Paris
erworben, dessen Witwe es noch heute besitzt.
Die früheste Würdigung dieses Porträts, die wir besitzen, stammt aus der Feder Wicars
und wurde von De Romanis im Jahre 1825 in einer Gelegenheitspublikation abgedruckt.
(Alcune memorie die Michelangiolo Buonarroti da’ Mss. Per le nozze die Clemente Car-
dinali con Anna Bovi. Roma 1825 p. 6.) Auch Wicar bezeichnet das Porträt Chaix d’Est-
Ange als ein Selbstporträt Michelangelos: »Michelangelo hatte sich auf dieser Tafel mit
Hilfe des Spiegels selber dargestellt; und den Kopf sah man hier in allen Details vollendet
und mit solcher Kraft und malerischem Sentiment ausgeführt, das kein Kopf bedeutender
erscheint von den vielen und wunderbaren, die in der Verklärung Raffaels leben. Außer-
dem sieht man in der Art die Fleischteile in Öl zu malen eine solche Meisterschaft des
Kolorits, das man sagen kann jener ungeheure Geist habe diese Fähigkeit — so not-
wendig besonders für die Malerei von Porträts — in höchsten Grade besessen. Das übrige
sah man nur durch die Konturen angedeutet, die mit dem Pinsel ausgeführt waren. Aber
die rechte Hand war mehr als in Farben angelegt. Man bemerkte überdies, von einem
gleichmäßigen grünlichen Schleier bedeckt, Skizzen einer heiligen Familie, die vielleicht
den Autor nicht befriedigt hatte. Und je genauer man hinsah, je mehr Dinge entdeckte
man, die bezeugten, daß die eine und die andere Arbeit von der Hand Michelangelos waren.
Wie denn das Porträt überhaupt das schönste war, das man bis damals kannte.«
Auch der Maler Ingres, der das Porträt im Jahre 1852 in Paris sah, schrieb es ohne
weiteres dem Michelangelo zu: »Portrait chef-d’oeuvre, en effet, parti de la main de ce co-
losse de genie! porträt vivant des ses moeurs, histoire tout entiere de l’art!«
Diese Urteile haben Wert als Äußerungen von Männern, die Geschmack und Urteil
besaßen und deswegen wohl in der Lage waren die künstlerischen Qualitäten eines Ge-
mäldes richtig einzuschätzen. Für die Autorschaft Michelangelos besagen sie natürlich
nichts.
Das Porträt der Sammlung Chaix d’Est-Ange, das ich Dank der Güte des Baron du Teil
eingehend untersuchen konnte, trägt in der Tat den Stempel eines Orginalgemäldes, das
nach dem Leben gemalt wurde. Die Qualität des Bildes ist nicht anzuzweifeln; es empfiehlt
sich aber auch hier statt subjektiver Stilanalyse die Tatsachen sprechen zu lassen: Ein
Selbstporträt Michelangelos von solcher Bedeutung würde Vasari nicht entgangen sein.
Michelangelo konnte wohl eine Zeichnung entwerfen, um einem Freunde die Arbeit zu
erleichtern, er konnte auch wohl dem Nikodemus der Pieta in Florenz einen Hauch des
eigenen Lebens einflößen, gleichsam als wolle er selbst den toten Christus zur Ruhe
betten — aber er hat sich niemals wie andere Maler selbst gemalt. Dieser Zug stimmt
nicht zum Bilde Michelangelos, und so bleibt das Zeugnis Vasaris unerschütterlich. Kann
nur Bugiardini, der Zeit, dem Ort, den Umständen entsprechend, das Porträt gemalt
haben, von dem wir im Louvre die Kopie besitzen, so kommt als Autor für das Porträt
der Sammlung Chaix d’Est-Ange eben nur Jacopo del Conte in Betracht, der sich
zu jener Zeit in Rom ansässig machte, als das Gemälde gemalt worden ist. Einmal die
Autorschaft des Jacopo del Conte zugegeben, wird man aber auch den Zusammenhang
dieses Porträts mit dem Fresko von San Giovanni Decollato zugeben müssen, wenn auch
ein Fresko eine völlig andere technische Behandlung verlangt als ein Tafelbild. Aber ist
die Haltung des Kopfes hier und dort nicht durchaus identisch? Sind die tiefliegenden

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