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Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0113
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SCHLUSSBEMERKUNGEN.

Mit einem üppigen Kranz bunter Legenden und Erzählungen hat die Nachwelt das
glorreiche Andenken Buonarrotis umwoben. Was Michelangelo getan und gesagt, wie er
gedacht und wie er geurteilt hatte, das hat die Erinnerung pietätvoll gesammelt, das hat
die Tradition in vielfacher Umgestaltung kommenden Geschlechtern zu übermitteln ver-
sucht. Eine Camee, ein Bild, eine Statue, auf denen sein Auge mit Bewunderung geruht,
war damit für alle Zeiten geadelt. Sein Lob bedeutete die höchste Ehre und sein Tadel
unauslöschliche Schmach. Man braucht nur die Aufzeichnungen des Herrn von Chantelou
über Berninis Aufenthalt in Paris zu lesen, um zu sehen, wie auch die größten Künstler
späterer Generationen in Michelangelo ihren Gott und Abgott verehrten.
Aber eben weil alles, was sich in der Phantasie mit seinem Namen verband, ungeahnten
Glanz erhielt, so daß selbst totes Blei sich in lebendiges Gold zu wandeln schien, ist
dieser Name so oft mißbraucht worden. Michelangelo wurde schließlich zum Gattungs-
begriff für zahllose Kunstwerke, die mit Recht oder Unrecht den Anspruch erhoben, zum
höchsten Kulturbesitz der Menscheit zu gehören. Und wie man Paläste und Kirchen,
Skulpturen und Gemälde, Medaillen und Zeichnungen mit seinem Namen taufte, obwohl
seine Hand sie nie berührt hatte, so glaubte man wohl auch des Meisters wohlbekannte
Züge in Bildern zu entdecken, die seine Bilder nie gewesen sind.
Von solchen hypothetischen Porträtdarstellungen Michelangelos ist wohl das Grabmal
eines Arztes Filippo Eustachio da Macerata im Kreuzgang von SS. Apostoli in Rom die
merkwürdigste ü. Nicht minder anfechtbar aber ist eine jüngst aufgestellte Behauptung,
daß Raffael seinen großen Rivalen in der Stanza della Segnatura gemalt habe2). Auch
eine prächtige Federzeichnung Michelangelos im British Museum, jener alte Mann mit
wallendem Bart und weitem Mantel, der etwas kugelartiges mit erhobenen Händen vor
sich her trägt, galt lange für sein Selbstporträt3). Und als ein solches ist auch der Jeremias
an der Decke der Sixtinischen Kapelle angesprochen worden4), ein solches wollte Frey
in einer Federzeichnung der Casa Buonarroti entdecken, wo im weitgeöffneten Rachen
eines Ebers der Kopf eines bärtigen Mannes erscheint5). Pontormo soll das Bildnis
Buonarrotis in einer Anbetung der Könige im Palazzo Pitti angebracht haben6), Condivi
—- so behauptete man — habe das Porträt seines Meisters in einer Kreuzabnahme in
Ripatransone gemalt7), ja, auch eine Zeichnung Bandinellis in Windsor Castle ist von
Bartolozzi als Porträt Michelangelos gestochen worden8). Alle diese vermeintlichen Bild-
1) Vgl. oben Seite 77, Anm. 1.
2) W. Rolfs, Ein Bildnis Michelagniolos von Raffael in der Zeitschr. f. b. Kunst. N. F. XXII (1911), p. 206.
3) Als solches wurde es in Woodburns Lawrence-Gallery, Tafel I, reproduziert. London 1853. Vgl. Berenson, The drawings
of the Florentine painters. London 1903. Nr. 1522. Robinson, The Malcolm Collection. London 1876, p. 22, Nr. 61.
Frey, Die Handzeichnungen etc., p. 25. Tafel 41.
4) E. Steinmann, Der Jeremias des Michelangelo. Repert. f. Kw. XVII (1894), p. 175.
5) Dichtungen, p. 384 und 385. Vgl. E. Petersen in der Zeitschr. f. b. Kunst N. F. IX (1897/98), p. 294.
6) E. Jacobsen, Die Handzeichnungen der Uffizien in ihrer Beziehung zu Gemälden etc. Repert. f. Kw. XXVII (1904),
p. 259. E. Schaeffer (Das Florentiner Bildnis. München 1904, p. 146) sieht in diesem Porträt ein Selbstbildnis Pontormos.
Thode V, 551.
7) G. Grigioni, Affreschi di Ascanio Condivi in der Rassegna bibliografica dell’arte Italiana IV (1901), p. 12. Nach der
mir vorliegenden Reproduktion muß ich Grigionis Behauptung als völlig unbegründet ablehnen. Thode V, 551, Nr. LI.
8) Abb. oben p. 50 Vgl. Chamberlain, Original designs. London 1812, pl. 56. und Hind, A short history of engraving
and etching. London 1908, p. 291. Unter den Incisori dei ritratti di Michelangelo führt Passerini das gleiche Porträt zwei-
mal auf: einmal unter Casa (Niccold della) p. 315, das zweite Mal unter Salamanca p. 325, hier mit dem Zusatz: »porta

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