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Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0099
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DIE APOTHEOSE MICHELANGELOS IN DER
CASA BUONARROTI IN FLORENZ (TAFEL 82-107)

»Er hatte durch die Demut seines Herzens und durch die Herrlichkeit seiner Werke
bei den Zeitgenossen als ein guter und ein großer Mann solchen Ruhm erlangt, daß
niemand es mehr wagte, ihn zu beneiden.« So hat Benedetto Varchi die Summe des
Seins und Wirkens Michelangelos zusammengefaßt1}, und mit feierlichem Ernst hatVasari
dies Urteil bestätigt: »Es ist die Größe Michelangelos bei seinen Lebzeiten anerkannt
worden und nicht, wie es sonst meistens geschieht, erst nach dem Tode1 2\«
Aber wenn man die unablässigen Kämpfe bedenkt, die Michelangelo auf dem Bauplatz
von St. Peter wie auf einer Arena zu bestehen hatte, wenn man sich die Intriguen des
Nanni di Baccio und die Ermordung seines Werkführers Cesare da Casteldurante ver-
gegenwärtigt, wenn man erwägt, daß Pius IV. noch im August 1563 seine ganze Autorität
aufwenden mußte, um seinen greisen Diener vor den niedrigsten Verleumdungen zu
schützen — dann muß man doch zugeben, daß auch Michelangelo wie jeder andere
Genius seine Unsterblichkeit mit der Preisgabe seines ganzen Daseins zahlen mußte.
Aber gerade dieser unablässige Kampf gegen die niedrige menschliche Natur, die ihn
umgab, dieses Einsetzen der letzten Kraft für ein letztes hohes Ziel, dieses Altern und
nicht Müdewerden, dies sich Behaupten im Wahren und im Schönen bis zum letzten Atem-
zuge — das allerdings mußte schon den Zeitgenossen wie höchste menschliche Offen-
barung erscheinen. Wer nicht selbst mit auf dem Kampfplatz stand wie Varchi und Vasari,
der sah mit Erstaunen, wie sich im Menschen das Übermenschliche verkörperte, der
konnte überhaupt für das Niedrige keinen Blick haben, weil ihm das Hohe so wundersam
entgegenleuchtete. Und wie dann diese Augen sich endlich geschlossen hatten und diese
Hände endlich ruhen wollten, da meinten die Zurückgebliebenen nicht den Hauch des
Todes, sondern die Kraft des Lebens zu spüren. Und ihr begeisterter Blick sah nichts
als Überwindung in diesem Unterliegen, sah nichts als den Unsterblichen, wie er seine
neue Laufbahn antrat durch alle Länder und durch alle Zeiten.
Gewiß, der Ausdruck, den die Zeitgenossen fanden, dem Vollendeten ihre Ehrfurcht
zu bezeugen, mag heute vielen klein und solcher Größe unwert erscheinen. Das Leichen-
begängnis in San Lorenzo war schließlich ein Schauspiel wie ein anderes, das die Trauer
in ein Fest verwandelte, das über das Dunkel des Todes noch einmal den vollen Glanz
des Lebens breitete. Das Grabmal in Santa Croce ist ja nur ein Zeugnis dafür, daß auch
die Nachgeborenen Großes wollten, aber nicht mehr die Kraft besaßen, es zu vollbringen.
Ja, vollends die Gemälde der Casa Buonarroti wirken fast beklemmend in ihrer leeren
Prunkhaftigkeit, wenn man sich die echte, ernste, stille Größe des Mannes vor Augen
stellt, den sie verherrlichen sollten.
Und doch! Auch dieser Wille, ihn zu ehren, bezeugt seine Größe, wenn es auch an
Kraft gebrach. Diesem Bestreben, das Körperliche zu retten, nachdem der Geist sich
dem Unendlichen verbunden hatte, verdanken wir ein historisches Dokument von nicht
geringem Wert. Und wenn diese Bilder auch den Sinn eines Lebens, das sich in Arbeit
und Mühsal verzehrt hat, nicht zu deuten vermochten, die äußeren Erlebnisse haben sie
1) Orazione funerale a. a. O. p. 39.
2) Milanesi VII, 269.
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