Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0098
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
worden. Als Giovanna d’Austria, die Braut des Francesco de’ Medici, im Dezember 1564
durch die Porta del Prato ihren feierlichen Einzug in Florenz hielt, war hier ein glänzender
Triumphbogen errichtet. An der Front dieses Bogens war ein großes Gemälde angebracht,
auf dem man Michelangelo erblickte, umringt von den besten Künstlern seiner Zeit. Und
wie man hier Maler und Bildhauer an der Arbeit sah, so war auch eine Anatomie dar-
gestellt, um welche die Künstler zeichnend und schreibend eifrig beschäftigt waren ü.
In dem von Mariette verfaßten Katalog der Sammlung Crozat werden unter Michel-
angelo zwei Zeichnungen aufgeführt, die den Meister darstellen, wie er eine Sektion vor-
nimmt2). Das eine dieser Blätter ist wahrscheinlich mit jener Zeichnung zu identifizieren,
die Mariette selbst erwarb und die später in die Lawrence-Collection und dann nach
Oxford gelangte. Sie wurde in der Prachtpublikation der Lawrence-Gallery als Arbeit
Michelangelos bezeichnet^ und als Darstellung einer Sektion erklärt, die Michelangelo
mit seinem Freunde Antonio della Torre vornahm. Diese Irrtümer Woodburns gingen
auch noch in den Oxford-Katalog Robinsons über4), ja, in einem jüngst erschienenen
Buch wird Michelangelo noch immer mit Lionardo verwechselt oder vielmehr Antonio
della Torre mit irgend einem Freunde oder Schüler Michelangelos5). Die Autorschaft
Buonarrotis für dieses Blatt in Anspruch zu nehmen, würde heute allerdings wohl niemand
mehr wagen. Ob Michelangelo hier wirklich dargestellt ist, vielleicht wie er mit Condivi
bei flackerndem Kerzenlicht den jungen Mohren in Sant’ Agatha seziert6), den ihm Realdo
Colombo zur Verfügung gestellt hatte, kann weder unbedingt bejaht noch unbedingt
verneint werden, da die Skizze zu flüchtig ist, um die Porträtähnlichkeit Michelangelos
einwandfrei feststellen zu können. (Vgl. Textabb. S. 77.)
Mit geringerer Wahrscheinlichkeit läßt sich das andere Blatt der Sammlung Crozat
mit einer Zeichnung Passarottis identifizieren, die sich heute im Louvre befindet. Dafür
kann aber über die Bedeutung dieser Komposition nicht der geringste Zweifel herrschen.
Wir sehn hier Michelangelo im Kreise der Bildhauer und Maler seiner Zeit dargestellt,
wie er an einer Leiche anatomische Darlegungen macht. Die Züge Michelangelos, der mit
dem bekannten zottigen Filzhut dargestellt ist, sind unverkennbar. Aber auch andere
Künstler sind so individuell charakterisiert, daß man sie mit Namen benennen kann:
der Sitzende links in der Ecke ist Andrea del Sarto; der neben ihm Stehende mit der Hals-
kette des Cavaliere: B. Bandinelli; der jüngere Mann, der die Linke des Leichnams
emporhält: Raffael.
Für welchen Zweck Passarotti diese Zeichnung entworfen hat, ist heute nicht mehr
festzustellen. Sie erscheint um so merkwürdiger, als der Anatom Michelangelo weder
in den Gemälden des Katafalks in San Lorenzo noch in den Fresken der Casa Buonarroti
seine Verherrlichung gefunden hat.
1) Vasari VIII, 528.
2) P. J. Mariette, Description sommaire des desseins des grands maistres . . du cabinet du feu M. Crozat. Paris 1741.
p. 3, Nr. 18: Dix, idem, dont deux desseins representant Michel-Ange occupe ä faire des dissections.
3) Lawrence Gallery. A series of facsimiles of original drawings by M. Angelo Buonarotti. London. Woodburn 1835. Tafel 23.
4) A critical Account etc. Oxford. 1870, p. 63, Nr. 50. J. Fisher, Facsimiles of original studies by Michael Angelo,
London 1865, P- i5- Plate 1.
5) Holländer a. a. O. p. 21. Vgl. über Antonio della Torre, der im Anfang des Cinquecento dreißigjährig in Verona
starb. Maffei, Verona illustrata. Verona 1731. Band II, p. 284 ff.
6) Vgl. Condivi ed. Pemsel a. a. O. p. 172, Anm. 4. Realdo Colombo verbrachte seine letzten Jahre in Rom, wo sich sein
Aufenthalt bis zum Jahre 1564 nachweisen läßt. Vgl. Tiraboschi, Storia della lett. Ital. Tom VII. Milano 1824. Libro II,
p. 919 und 920.

11

8l
 
Annotationen