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Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0100
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doch treu zu überliefern versucht. Und ist — rein menschlich angesehn — nicht jede
Huldigung, die wir dem Genius darbieten, ein Zeugnis dafür, daß in uns selber ein Funken
seines Geistes brennt?
Der Großneffe Michelangelos, derselbe, der zuerst die Dichtungen des Großoheims ver-
stümmelt und gefälscht herausgegeben hat1), ließ auch im Stammhaus der Buonarroti
den Gemäldezyklus von den besten Künstlern malen, die damals in Florenz zu finden
waren. In Poesie und Prosa hat er auch selbst das Geschaffene beschrieben2) und dem
Heros und Hausheiligen, der dem Namen der Buonarroti Simoni neuen Glanz verliehen
hatte, eine Marmorstatue gesetzt. In diesen Räumen sind denn auch alle Familien-
erinnerungen gesammelt worden, hier hatte das Archivio Buonarroti seinen Ursprung,
und als der letzte männliche Sproß dieses Stammes starb, vermachte er das glänzende
Erbe seiner Vaterstadt Florenz1 2 3).
Allerdings hat Michelangelo selbst in diesem Hause, das er für den Neffen ankaufte,
niemals gearbeitet und gewohnt. Und schon dieser Gedanke nimmt der Erinnerungsstätte
die eigentliche Weihe. Es ruht ja ohnehin eine unausgesprochene Melancholie, ein selt-
sames Unbehagen über verlassenen Wohnräumen gewesener Geschlechter, aus denen
aller Reiz der schaffenden Gegenwart gewichen ist. Dies Gefühl der Verlassenheit aber
ergreift uns in den kalten, lichtlosen Räumen der Casa Buonarroti besonders stark, und
keiner Phantasie will es gelingen, das Tote zu beleben. Und in eine solche Umgebung
versetzt, kann auch der Gemäldezyklus auf den Beschauer keine Wirkung ausüben. Kalt
und achtlos geht er vorüber, ohne zu ahnen, welch ein Aufwand von Kraft und Zeit und
Geld gemacht worden ist4), um diesen Tempel der Erinnerung auszuschmücken. Gori
allerdings, dem wir die vortreffliche zweite Ausgabe des Lebens Michelangelos von Condivi
verdanken, hat für den Bilderzyklus der Casa Buonarroti bereits die verständnisvolle
Würdigung gefunden. Er beabsichtigte eine Beschreibung der Gallerie von Michelangelo
dem Jüngeren herauszugeben und sämtliche Gemälde in Kupfer stechen zu lassen. Aber
dieser Plan ist niemals zur Ausführung gelangt5*.
Die zehn größeren Gemälde wurden mit Öl auf Leinwand gemalt und mit schmalen
Goldrahmen an den Wänden befestigt. Die sechs kleineren Historien sind gleichfalls in
Öl als Chiaroscuri direkt auf die Mauer hingeworfen.
In der späteren Literatur hat man den Gemälden der Casa Buonarroti nur geringe
Aufmerksamkeit geschenkt. Sie sind zuerst beschrieben worden von Piot im Cabinet
de famateur (annees 1861/62) Paris 1863, p. 13 5 6). Dann verfaßte A. Fabbrichesi in
seiner in einer Reihe von Auflagen erschienenen »Guida della Galleria Buonarroti« einen
1) Rime di Michelagnolo Buonarroti, raccolte da Michelagnolo suo nipote. In Firenze appresso i Giunti. 1623.
2) Beide Beschreibungen sind von Fanfani, Spigolatura Michelangiolesca. Pistoja 1876, p. 1—43, herausgegeben worden.
Zum Jubliäumsjahre 1875 wurde überdies von dem Gedicht des jüngeren Michelangelo eine Sonderausgabe gemacht:
Sonetto inedito di Michelangelo Buonarroti il giovine sovra la sua Galleria. Firenze 1875.
3) Die Geschichte dieses Vermächtnisses und die Rechtsstreitigkeiten, die sich an dasselbe geknüpft haben, wurden
in einer besonderen Publikation von 21 Seiten gedruckt: Sentenza del Tribunale di prima istanza di Firenze del di 28. Aprile 1858.
Firenze 1858. Vgl. auch C. Milanesi, L’archivio Buonarroti im Arch. stör. Ital. Nuova serie T. XIII, P. I. Firenze 1861.
4) Die Galleria Buonarroti, die laut Inschrift im Jahre 1620 vollendet war, hat einen Kostenaufwand von rund 20000
Skudi verursacht. Vgl. Baldinucci, Notizie de’ professori etc. ed. Torino 1813. Bd. III, Buch VII, p. 75, Anm. Die Rech-
nungsbelege im einzelnen werden z. Z. noch unediert im Archivio Buonarroti in der Laurenziana in Florenz bewahrt.
5) Vita di Michelagnolo. Firenze 1746. Prefazione XIX und XX. Bereits im Sommer 1911 habe ich die ersten Auf-
nahmen des Gemäldezyklus durch Alinari machen lassen, die auf den folgenden Tafeln reproduziert sind.
6) La maison de Michel-Ange Buonarroti a Florence.

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