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Das alemannische Volk, um ein paar allgemeine Voraussetzungen zu
geben, ist, wie Sie alle wissen, politisch sehr zerstückelt und nicht erst seit
heute. Ein guter Teil, es gibt Leute, die sagen , der beste Teil, jedenfalls
derjenige Teil der Alemannen, der sich die alten Sitten am reinsten bewahrt
hat, ist schon seit dem Jahre 1648 von dem übrigen Schwaben abgesondert,
das ist das Volk der deutschen Schweiz. Einen anderen Teil sucht ohne
Erfolg der Franzmann zu gallisieren, was ihm so wenig gelingen wird, wie
von 1870. Und selbst die deutsch gebliebenen Schwaben zerfallen heute
in drei Teile, sie gehören heute drei deutschen Ländern an. Trotz der Zer-
stückelung in politischer Hinsicht aber ist die alemannische Gesinnung und
Kultur vom Berner Oberland bis. zum Neckar, von der Donau und dem
Wasgau bis zum Lech stark einheitlich und deutlich unterscheidbar von
den benachbarten Stämmen der Bayern und Pranken. Das schwäbische
Kernland ist heute Württemberg, das Land, das rein schwäbische Belange
vertritt, zu dem nur ein ganz kleiner Bruchteil von Franken gehört. Je
einheitlicher das Volkstum eines Landes, desto einheitlicher ist seine geistige
Kultur. Es ist klar, daß Württemberg in dieser Hinsicht gegenüber Bayern
und Baden im Vorteil ist. Das einheitliche Volkstum schweißt die Teile
des Volkes zusammen. Das zeigt sich vor allem darin, daß die Familien-
bande, die Sippenbande ganz außerordentlich fest sind. Es gibt wohl kaum
eine Gegend in Deutschland, in der die Familie fester zusammenhält bis in
die ersten Anfänge hinauf, wie in Schwaben. Der Familiensinn liegt dem
Schwaben im Blut. Sie wissen das alles aus den Schriften des Reutlingers
Finckh. Die Sippe aber ist die Grundlage des ganzen Volkes.

Die völkische Einheit, die hier bei uns ungewöhnlich stark ist, ist in
einer einzigen Hinsicht gelockert, nämlich durch die Kirchenspaltung. Aber
selbst der Umstand, daß Altwürttemberg evangelisch ist und große Teile
Neuwürttembergs, vor allem das ganze Oberschwaben, katholisch, selbst
dieser Umstand hat doch nicht hindern können, daß in allen wichtigen
Fragen der Heimatpflege und des Heimatsinns beide Teile Zusammengehen.
Hingegen hat Württemberg gegenüber den beiden deutschen Nachbar-
ländern Baden und Bayern einen großen Vorsprung darin, daß es in Würt-
temberg nur eine einzige Großstadt gibt, die zugleich die Hauptstadt des
Landes und der Sitz der Verwaltung ist, daß sich infolgedessen in einer
Stadt das ganze geistige Leben sammelt. Das war vor 100 Jahren noch
anders. Damals gab es selbst in Altwürttemberg noch mehrere Städte, die
einander gleichwertig waren: Stuttgart und Tübingen, und als das übrige
Neuwürttemberg hinzukam, stand Stuttgart hinter Reichsstädten wie ITeil-
bronn und Ulm weit zurück. Vergleichen wir die Verhältnisse in Baden mit
denen in Württemberg, so wird sofort klar, wie zerrissen heute das geistige
Leben in Baden sein muß gegenüber Württemberg, lediglich aus der Kon-
stellation der Städte. Das alte pfälzische Mannheim gräbt in vieler Hinsicht
Karlsruhe das Wasser ab, und auch die beiden erfolgreichen Universitäten
Freiburg und Heidelberg haben für das ganze geistige Leben Badens eine
größere Bedeutung wie Tübingen, das als Stadt klein ist, und wie etwa die
größeren Städte Ulm und Heilbronn sie für Württemberg haben, weil diese
im Laufe des 19. Jahrhunderts fast ganz ausschließlich materielle Kultur
gepflegt haben und geistig ganz zurückgetreten sind. Während heute die
geistige Einflußzone von Karlsruhe sich auf ein ganz schmales Umland
 
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