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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 2) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47011#0015

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465

1. Kuppelquadrate mit Strebenischen.
Die Nischenverstrebung geht in Armenien nicht aus von der Tonne (Sarwistan), auch nicht vom
Achteck (Warzachan), sondern vom Quadrate. Die iranische Baukunst war nicht hinausgekommen
über die Verwendung der Kuppel auf dem geschlossenen Mauerquadrat. Dieses war und blieb dort
die übliche Wohnzelle. Im Palastbau lagen nach den Beispielen des Fars Kuppel und Tonne ge-
häuft neben einander, eine Erweiterung der Kuppel durch Wanddurchbrechung scheint dort nicht
in Betracht gezogen worden zu sein1). Da kamen in Armenien, dem alten Ausbreitungsgebiete der
iranischen Kunst, mit dem neuen christlichen Zweck auch neue, unabweisbare Forderungen. Die
Kuppel über dem Quadrat mußte sich ihnen anpassen. Eines der dringendsten Bedürfnisse war der
Zwang, die Kuppel als Einzelzelle frei zu stellen und zugleich räumlich derart in den Abmessungen zu
steigern, daß die ganze Gemeinde darunter Platz finden konnte. Es spricht für das allmähliche
Wachsen der Größen Verhältnisse mit dem Anwachsen der Gemeinden, daß sich die Kuppel in Armenien
überhaupt als Kirchenbau durchsetzen konnte. Bauten des 4. und 5. Jahrhunderts sind leider bis
jetzt nicht aufgefunden (davon später), im 7. Jahrhundert bestehen jedenfalls bereits alle Gattungen
und Arten nebeneinander.
Die Freistellung der Kuppel und die Steigerung ihrer Größe ging Hand in Hand mit dem
Zwange, sie zu verstreben. So mußte die Aufhebung des wachsenden Kuppeldruckes bei An-
bahnung von Erweiterungsmöglichkeiten für das bis dahin geschlossene Grundquadrat mitsprechen.
Eine Öffnung der Wände war möglich in der Hinausschiebung der Umfassungsmauern, einmal nach
den Achsen, dann nach den Diagonalen. Der erste Schritt wurde in der Achsenrichtung getan.
Ich würde ohne weiteres annehmen, daß der Anlaß dazu die gottesdienstliche Forderung nach
einer Apsis war, wenn sich nur nachweisen ließe, daß die Ostapsis wirklich von allem Anfang an
zur Bauart der armenischen Kirche gehört habe. Thoramanian bestritt das auf unserer Reise ent-
schieden und auch in seinen armenisch gedruckten Arbeiten nimmt er dagegen Stellung (S. 227 f.).
Als Bestätigung für die Annahme Thoramanians könnte die Vision des Sahak angeführt werden,
die, von Lazar von Pharpi überliefert, nach der Sprache um 460 zu datieren ist. Darin ist gleich am
Kopfe von einem vierseitigen Bema die Rede. Man lese darüber oben Seite 227 und 340 nach.
Wie dem daher auch immer sei — ob die viereckige oder Rundapsis älter ist, die eine neben
der andern besteht, bodenständig oder die viereckige von Mesopotamien oder dem Osten, die runde
von Kleinasien eingeführt wurde ■— wichtig ist hier für uns nicht die Nische an sich, sondern nur
ihre bauliche Verbindung mit der Kuppel. Die Kuppel nämlich, sobald sie in den Maßen wächst und
nicht mehr in einer Gruppe von mit ihr zusammengeschobenen, aber für sich bestehenden Räumen,
sei es anderen Kuppeln,, sei es Tonnen erscheint, sondern als Einzelbau nach allen Seiten frei da-
steht, bedarf der Verstrebung, weil sonst die Druckkräfte sie über kurz oder lang zu Falle bringen.
Vergrößerung und Vereinzelung führen daher notwendig von sich aus zu Veränderungen des
Baugefüges. Die Verstrebung ist in Armenien zunächst nicht wie später in Byzanz durch Errichtung
mächtiger Pfeiler im Innern des Baukristalls oder wie noch später in der Gotik durch Verlegung
derselben an die Außenseite der Mauern erzielt (vgl. S. 400), sondern — und das scheint im Besonderen
armenisch — sie erfolgte zunächst durch runde gegen den Kuppelraum gerichtete Ausbuchtungen.
Ob nun die kirchliche Apsis auf diesen Weg geleitet hat oder der armenische Baumeister ohne
diese Anregung von Seiten eines Kultmotivs bei der Nötigung der Vergrößerung und Freistellung
der Kuppel darauf gekommen war, ist Nebensache. Falls die Apsis den Anstoß gegeben hat, dann
zeigt ihre Übertragung auf alle vier Achsen jedenfalls, daß die technische Seite sofort grund-
sätzlich klar erfaßt und sinngemäß durchgeführt wurde. Ich bezeichne diese verstrebenden Aus-
buchtungen als Strebenischen (im gleichen Sinne wie wir das Wort Strebepfeiler verwenden) oder
der Kürze halber als Konchen. Grundsätzlich wichtig ist dabei, daß diese Verstrebung von außen
her erfolgt und dem Beschauer ohne weiteres sichtbar bleibt. Das gilt freilich nur für die Anfänge
des Konchenquadrates und die reinen Konchenbauten. Erst die nordische Kunst hat diese außen
sichtbare Verstrebung wieder aufgenommen. Freilich arbeitet die »Gotik« nicht mit Großnischen,
sondern mit verstrebenden Pfeilern; davon später. Immerhin liegt grundsätzlich schon in Armenien
der auf die nordische Art hinführende Anfang der Entwicklung vor.
Vgl. H. Glück, »Ein islamisches Heiligtum auf dem Ölberg«, Der Islam, VI (1916), S. 328.
 
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