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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 2) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47011#0094

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544

ZWEITES BUCH: WESEN

Die armenische Baukunst übernimmt Gestalten nie unmittelbar aus der Natur —- das Stifterbild in
einzelnen Fällen ausgenommen (Abb. 471) — wohl aber solche aus älteren, benachbarten oder durch
ihr Königshaus in Beziehung gebrachten Kunstkreisen. Ihre eigene, aus diesen Voraussetzungen
hervorwachsende Form ist, soweit nicht das Ringen mit dem Griechisch-Syrischen Einschläge gestalt-
licher Art mitbringt, Form ohne Gestalt. Was an Bauformen im Laufe der Entwicklung entsteht,
ist rein aus dem Drange nach Geschlossenheit der Masse, dem Suchen nach einem baulich und
künstlerisch befriedigenden Raum, einheitlicher Beleuchtung u. dgl. Zielen entstanden. Ebenso hat
in der Ausstattung weder eine Naturgestalt noch eine gleichzeitige Schmuckart des Westens Einfluß
gewonnen. Davon kurz in einem zusammenfassenden Überblick.
Vorher aber sei schon hier die Frage aufgeworfen, ob dieser Geist, den der Westen und Süden
nicht kennt, etwa im Osten seine Wurzeln haben könnte. In Indien und China finden wir davon
freilich ebenso wenig, wie auf den ersten Blick in dem Zwischengebiete beider Kunstkreise, in
Chinesisch-Turkestan; und doch gibt es einen arischen Religionskreis, der, um ein halbes Jahrtausend
älter als das Christentum, ihn im Osten heimisch gemacht haben dürfte; eben das Land und der
Glaube, denen auch das armenische Fürstengeschlecht der Arsakiden und ihre Staatsreligion an-
gehörte, Iran und die Religion des Zarathuschtra. Davon später.

5. Zusammenfassung: Die armenische Bauform.
Wir haben der Betrachtung der einzelnen Denkmäler nach Gattungen und Arten planmäßige
Untersuchungen über Stoff und Werk, Zweck und Erscheinung folgen lassen, indem wir bei letzteren
zunächst der Gestalt, dem Übernommenen, nachgingen und dann versuchten, in das Werden der
Formkräfte, die im christlichen Kuppelbau Armeniens am Werke waren, einzudringen. Wie wir
dem Gestaltproblem eine Zusammenfassung der Erscheinungstatsachen vorangehen ließen, so muß
das Formproblem gipfeln in einer zusammenfassenden Herausarbeitung der künstlerischen Werte,
die die armenische Bauform ausmachen.
Das methodische Vorgehen bei einer solchen Untersuchung hält sich im weiteren Ausbau des
Seite 206 voran gestellten Planes, um der üblichen Einseitigkeit zu entgehen, an eine Einteilung, die
ich seit länger als einem Jahrzehnt für die Behandlung des Formproblems anwende1). Ich teile die
Form nach Raum, Masse, Licht und Farbe. Dabei fällt die Trennung des Bauens an sich und der
Ausstattung weg und ebenso werden die bisher nach Gattungen und Arten auseinandergehaltenen
Reihen nun auf ihre künstlerische Zusammengehörigkeit hin als Einheit betrachtet.
Da es sich um die rein künstlerischen Werte der altarmenischen Architektur handelt, muß vor
allem ein Urteil Schnaases richtiggestellt werden, das vielleicht nachträglich gegen die unten vor-
gebrachte Schätzung ausgebeutet werden könnte. Schnaase hat nie einen armenischen Bau in Wirk-
lichkeit gesehen, er urteilt lediglich nach den völlig unzulänglichen Abbildungen, die er in der
Reiseliteratur bis zum Jahre 1869 vorfand, vor allem bei Grimm, Dubois und Brosset. Auch bringt
er Armenisches und Georgisches durcheinander und scheidet nicht zwischen den schlichten Monumental-
bauten der altchristlichen und den dekorativen der späteren Zeit. Hätte er auch nur die eine Kathe-
drale von Ani gesehen, dann wäre ihm nie eingefallen, sie — wenn auch nur um der Größen-
verhältnisse willen — mit einer »unserer etwas bedeutenderen Dorfkirchen« zu vergleichen (III,
5. 330). Und würde Schnaase eine Ahnung von dem reichen Denkmälerschatze gehabt haben, den
ich hier als Nachklang der großen altchristlichen Blüte des armenischen Kirchenbaues im 4. bis
6. Jahrhundert vorlegen konnte, so hätte er wohl noch stärker betont, daß diese Architektur an die
Strenge abendländischer Bauten des Mittelalters erinnere, und sie an einfacher Regelmäßigkeit noch
übertreffe. Zugleich aber hätte Schnaase ihnen gegenüber den Vorwurf zurückgehalten, die Ver-
zierung sei in dem willkürlichen, abenteuerlichen Geschmacke der Araber gehalten. Das mag ja teil-
weise für die Spätzeit und manche georgische Bauten im Besonderen gelten, nicht aber für unsere
’) Vgl. »Die Zukunft der Kunstwissenschaft« (Beilage zur Münchener Allgemeinen Zeitung, 1903, III, Nr. 55)! »Die Kunst-
geschichte an der Wiener Universität« (Österreichische Rundschau, XXI, 1909, S. 393 f.); »System und Methode der Kunst-
betrachtung« (Volksbildungsarchiv, III, 1912, S. 44 f.).
 
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