WANDERUNG DER ARMENISCHEN BAUFORM NACH EUROPA
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Neuorientierung, die auf diesen Gebieten eintritt, als vom Osten kommend zugegeben werden, auch
für die Darstellung selbst, die gegenständlich in die Hände der Kirche gleitet — wie in Armenien das
Bauwerk als solches1) —und künstlerisch nur als farbiger Fleck und großdekorativ ihre Wirkung tut.
Ich möchte an dieser Stelle lediglich auf eine der vielen bedeutungsvollen Fragen, die im Zusammen-
hänge durchzusprechen wären, mit ein paar Worten eingehen, auf die Wandlungen in Form und Aus-
stattung des byzantinischen Kapitells. Im 5. Jahrhundert beginnen aus den Steinbrüchen derProkonnesos
Kapitellformen hervorzugehen, die unter anderem nur durch eine Einwirkung von der neuen Landes-
hauptstadt zuströmenden Iraniern und Armeniern zu verstehen sind. Wir sahen oben Seite 315 und 439,
daß zwei Formen, der Würfel und der Knauf, dazu das Bandgeflecht, die im Kuppelbau allein nach-
weisbaren Endigungen des Dienstes sind, das antike Kapitell dagegen nie mit dem Dienste verknüpft
vorkommt, sondern erst durch die dreischiffigen Längsbauten vorübergehend eingeführt wurde (S. 407).
Der Würfel setzt sich in der Art des byzantinischen Kämpferkapitells, der Knauf im sogenannten
Korbkapitell durch, beide mit dem Schmuck des Bandgeflechtes. Der Versuch eines Beweises für
diese Annahme ist eine Arbeit für sich. Hier sei nur darauf verwiesen, daß das durch die klassisch-
armenische Literatur des 5. Jahrhunderts schon für die vorausgehende Zeit bezeugte Wort »chojak«
(Pfeiler mit Widderverzierungen) auf den Bestand jener Korbkapitelle hinweist, die wir von Byzanz
so gut seit dem 5. Jahrhundert her kennen2). Es wird sich da ursprünglich um den Widder als
Hvarenah-Sinnbild, daneben um den in der iranischen Kunst auf Schritt und Tritt nachweisbaren
Steinbock handeln8). Eine Bearbeitung des ganzen Stoffes ist in meinem Institute unterwegs, falls
der Krieg und seine Folgen nicht auch noch die letzten Arbeitskräfte vernichtet.
3. Reine Längsbauten.
Man wird vielleicht überrascht sein, in die Frage der Ausbreitung des Armenischen auch den
Längsbau ohne Kuppel hineingezogen zu sehen. Dieser ist ja, wenn ich recht behalte, etwas im
Hochlande von außen Eingedrungenes, das dort sehr bald von der nationalen Bauweise wieder
überwunden wird. Ich glaube auch nicht, daß Armenien wie im Kuppelbau gerade den Ausschlag
auch im Längsbau gegeben habe, aber Armenien liefert doch etwas, was weder in Kleinasien
noch in Mesopotamien, den von mir bisher in der Frage von Ursprung’ und Ausbreitung der ge-
wölbten Längskirche herangezogenen Gebieten, für Fernerstehende überzeugend beizubringen war:
sichere Nachweise für die ausschließliche Herrschaft des Tonnenbaues im 5. und 6. Jahrhundert als
Folge einer alten Gewölbebaukunst im Osten. Die breite Schicht Armeniens, das eine Holzdecke
überhaupt nicht kannte, entscheidet. Wie für die Kuppel Iran, so war für die Tonne Mesopotamien der
Träger dieser Überlieferung, die mit dem Wandel der Pflanzendecke und der Notwendigkeit, schon
in vorchristlicher Zeit vom Holz auf den luftgetrockneten Ziegel überzugehen, entstanden war. Meso-
potamien hat die holzgedeckte Kirche, von der Mittelmeerkreis und Abendland ausgehen, kaum
gekannt. Wie wir in Armenien sehen, vollzieht sich im Osten eine stetige Entwicklung des Gewölbe-
baues, eine Erkenntnis, die hoffentlich jetzt endlich angenommen wird. Die Folgen für die Kunst-
forschung werden unabsehbare sein. Die altchristliche Basilika des Mittelmeerkreises ist Säulenbau
mit Holzdach, die mittelalterliche Kirche des Nordens (die Lombardei mit eingeschlossen) Pfeilerbau
mit Gewölben. Die letztere Gruppe folgt zeitlich auf die entsprechenden Bauformen in den orien-
talischen Hinterländern Kappadokien und Mesopotamien. Ich habe schon vor Jahren versucht, den
Zusammenhang zwischen Ost und West nachzuweisen und nehme diese Beweisführung hier neuer-
dings auf. Bisher war, von Armenien aus gesehen, bei Heranziehung des Abendlandes nur von den
Ausnahmen des im übrigen herrschenden Basilikenbaues die Rede, den Kuppelbauten. Im vor-
liegenden Abschnitte soll versucht werden, deutlich zu machen, daß auch im Basilikenbau selbst
Züge vorkommen, die es wünschenswert erscheinen lassen, die Möglichkeit eines armenischen, bzw.
mesopotamischen oder kleinasiatischen Einschlags in Europa nicht länger abzuweisen.
Vor bald zwei Jahrzehnten wurde zu zeigen versucht, daß die römische Kunst eine Art Ableger
der hellenistischen Strömung4), einige Jahre später, daß auch die »romanische Kunst« eigentlich
') Vgl. für die Überlieferung Erman, »Ägypten«, S. 399. — 2) Vgl. Alten, »Gesell, d. altchristl. Kapitells«, S. 82. — s) Vgl-
mein »Amida«, S. 359, und »Altai-Iran«, S. 220. Dazu oben S. 596 u. 630. — 4) Vgl. mein »Orient oder Rom« 19OI, Einleitung.
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Neuorientierung, die auf diesen Gebieten eintritt, als vom Osten kommend zugegeben werden, auch
für die Darstellung selbst, die gegenständlich in die Hände der Kirche gleitet — wie in Armenien das
Bauwerk als solches1) —und künstlerisch nur als farbiger Fleck und großdekorativ ihre Wirkung tut.
Ich möchte an dieser Stelle lediglich auf eine der vielen bedeutungsvollen Fragen, die im Zusammen-
hänge durchzusprechen wären, mit ein paar Worten eingehen, auf die Wandlungen in Form und Aus-
stattung des byzantinischen Kapitells. Im 5. Jahrhundert beginnen aus den Steinbrüchen derProkonnesos
Kapitellformen hervorzugehen, die unter anderem nur durch eine Einwirkung von der neuen Landes-
hauptstadt zuströmenden Iraniern und Armeniern zu verstehen sind. Wir sahen oben Seite 315 und 439,
daß zwei Formen, der Würfel und der Knauf, dazu das Bandgeflecht, die im Kuppelbau allein nach-
weisbaren Endigungen des Dienstes sind, das antike Kapitell dagegen nie mit dem Dienste verknüpft
vorkommt, sondern erst durch die dreischiffigen Längsbauten vorübergehend eingeführt wurde (S. 407).
Der Würfel setzt sich in der Art des byzantinischen Kämpferkapitells, der Knauf im sogenannten
Korbkapitell durch, beide mit dem Schmuck des Bandgeflechtes. Der Versuch eines Beweises für
diese Annahme ist eine Arbeit für sich. Hier sei nur darauf verwiesen, daß das durch die klassisch-
armenische Literatur des 5. Jahrhunderts schon für die vorausgehende Zeit bezeugte Wort »chojak«
(Pfeiler mit Widderverzierungen) auf den Bestand jener Korbkapitelle hinweist, die wir von Byzanz
so gut seit dem 5. Jahrhundert her kennen2). Es wird sich da ursprünglich um den Widder als
Hvarenah-Sinnbild, daneben um den in der iranischen Kunst auf Schritt und Tritt nachweisbaren
Steinbock handeln8). Eine Bearbeitung des ganzen Stoffes ist in meinem Institute unterwegs, falls
der Krieg und seine Folgen nicht auch noch die letzten Arbeitskräfte vernichtet.
3. Reine Längsbauten.
Man wird vielleicht überrascht sein, in die Frage der Ausbreitung des Armenischen auch den
Längsbau ohne Kuppel hineingezogen zu sehen. Dieser ist ja, wenn ich recht behalte, etwas im
Hochlande von außen Eingedrungenes, das dort sehr bald von der nationalen Bauweise wieder
überwunden wird. Ich glaube auch nicht, daß Armenien wie im Kuppelbau gerade den Ausschlag
auch im Längsbau gegeben habe, aber Armenien liefert doch etwas, was weder in Kleinasien
noch in Mesopotamien, den von mir bisher in der Frage von Ursprung’ und Ausbreitung der ge-
wölbten Längskirche herangezogenen Gebieten, für Fernerstehende überzeugend beizubringen war:
sichere Nachweise für die ausschließliche Herrschaft des Tonnenbaues im 5. und 6. Jahrhundert als
Folge einer alten Gewölbebaukunst im Osten. Die breite Schicht Armeniens, das eine Holzdecke
überhaupt nicht kannte, entscheidet. Wie für die Kuppel Iran, so war für die Tonne Mesopotamien der
Träger dieser Überlieferung, die mit dem Wandel der Pflanzendecke und der Notwendigkeit, schon
in vorchristlicher Zeit vom Holz auf den luftgetrockneten Ziegel überzugehen, entstanden war. Meso-
potamien hat die holzgedeckte Kirche, von der Mittelmeerkreis und Abendland ausgehen, kaum
gekannt. Wie wir in Armenien sehen, vollzieht sich im Osten eine stetige Entwicklung des Gewölbe-
baues, eine Erkenntnis, die hoffentlich jetzt endlich angenommen wird. Die Folgen für die Kunst-
forschung werden unabsehbare sein. Die altchristliche Basilika des Mittelmeerkreises ist Säulenbau
mit Holzdach, die mittelalterliche Kirche des Nordens (die Lombardei mit eingeschlossen) Pfeilerbau
mit Gewölben. Die letztere Gruppe folgt zeitlich auf die entsprechenden Bauformen in den orien-
talischen Hinterländern Kappadokien und Mesopotamien. Ich habe schon vor Jahren versucht, den
Zusammenhang zwischen Ost und West nachzuweisen und nehme diese Beweisführung hier neuer-
dings auf. Bisher war, von Armenien aus gesehen, bei Heranziehung des Abendlandes nur von den
Ausnahmen des im übrigen herrschenden Basilikenbaues die Rede, den Kuppelbauten. Im vor-
liegenden Abschnitte soll versucht werden, deutlich zu machen, daß auch im Basilikenbau selbst
Züge vorkommen, die es wünschenswert erscheinen lassen, die Möglichkeit eines armenischen, bzw.
mesopotamischen oder kleinasiatischen Einschlags in Europa nicht länger abzuweisen.
Vor bald zwei Jahrzehnten wurde zu zeigen versucht, daß die römische Kunst eine Art Ableger
der hellenistischen Strömung4), einige Jahre später, daß auch die »romanische Kunst« eigentlich
') Vgl. für die Überlieferung Erman, »Ägypten«, S. 399. — 2) Vgl. Alten, »Gesell, d. altchristl. Kapitells«, S. 82. — s) Vgl-
mein »Amida«, S. 359, und »Altai-Iran«, S. 220. Dazu oben S. 596 u. 630. — 4) Vgl. mein »Orient oder Rom« 19OI, Einleitung.