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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 2) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47011#0265

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TRÄGER DER AUSBREITUNG



I. Träger der Ausbreitung.
Neulich ist einmal gefragt worden, ob wohl Juden- und Christentum je weltgeschichtliche Fak-
toren geworden wären, wenn Jerusalem etwa in der Gegend des Wan- oder Urmiasees gelegen
hätte?1) Man sieht aus der Fragestellung, daß uns heute nichts ferner liegt als die Annahme, diese
armenischen Gebiete wären zu irgend einer Zeit Ausgangspunkt einer weltgeschichtlichen Ausbreitung
gewesen. Und. doch kann gelten, daß/neben dem semitischen Breithaus- und dem mittelmeerländischen
Langhausbau von Armenien jene dritte Kirchenbauform ausgegangen ist, die sich zuerst Byzanz, dann
die orthodoxe Kirche, seit der Renaissance und erst recht in unserer Zeit die Welt erobert, der
quadratische Einkuppelbau. Armenien gibt damit freilich nur eine arische, von Nordostiran erhal-
tene Anregung weiter. Der persische Einschlag in die europäische Kultur ist dadurch sehr wesentlich
verstärkt worden. Aber wer kümmerte sich bisher um diese Dinge? Wenn man erst einmal anfangen
wird, Liebe und Wahrheit nicht zu verwechseln, Hellas und Rom etwas zurückzuschieben und alte
natürliche Zusammenhänge wieder zu beachten, dann dürfte einige Überraschung darüber eintreten,
was alles auf Persien und den arischen Osten zurückzuführen ist1). Im Gebiete der Baukunst ist
Persien der Stützpunkt für die Ausbreitung der Kuppel ebenso gewesen, wie Mesopotamien für
das Tonnengewölbe, China, Indien und das Mittelmeer für das Holzdach. Man könnte versuchen,
eine Geschichte der Baukunst zu schreiben, die den Bauformen unter alleiniger Berücksichtigung
derartiger Annahmen nachgeht. Hier soll das lediglich für den Kuppelbau in christlicher Zeit zu
dem Zwecke geschehen, den Anteil Armeniens an der Kunstentwicklung festzustellen. Ich setze
damit nur neuerdings meine gegen die Irrlehre von der in sich geschlossenen Entwicklung der
europäischen Kunst gerichteten Arbeiten fort. Sie begannen einst mit »Orient oder Rom« und drangen
zuletzt mit »Altai-Iran« zu jenem Gebiete vor, in dem auch die christliche Kunst Armeniens wurzelt.
Der enge Gesichtskreis unserer klassischen Philologie und auf Europa eingestellten Geschichtsforschung
wird dadurch hoffentlich zu zeitgemäßer Erweiterung, vielleicht sogar — sehe ich von meinem
Drängen ab — auch für das Gebiet der Forschung über bildende Kunst gebracht werden3).
Ein Beispiel, wie zunächst persische Kultformen nach dem Abendlande wanderten, bietet der
MithraskultJ. Es waren Soldaten und Sklaven, die den persischen Kult einmal die Donau und Rhone
entlang, dann über die Häfen einschleppten und weit über ganz Europa-verbreiteten. Hier ist die
Ausbreitung also sowohl den See-, wie den Landweg gegangen. Auch bei Ausbreitungsfragen in
christlicher Zeit wird man beide Möglichkeiten im Auge behalten müssen. Übrigens sei bei dieser
Gelegenheit bemerkt, daß wir in Armenien, im Besonderen z. B. in Marmaschen in den Bauernhäusern
Säle fanden, die mit dem zwischen Lagerstätten auf eine Schluß wand zuführenden Mittelgang
lebhaft an die Einrichtung der Mithrasheiligtümer erinnern.
Der Nachfolger des Mithraskultes in christlicher Zeit war der Manichäismus. Mani wurde 275
von Bahram I in Gündeschapur hingerichtet. Im Jahre 274 schon war seine Lehre in Palästina ange-
langt und überschwemmte ganz Vorderasien zwischen dem buddhistischen Mönchtum und Ägypten
vermittelnd5). Über Nordafrika ging er nach Spanien und Gallien, wo ihn Ende des 4. Jahrhunderts
die Häresie des Priscillian verrät, und in Rom entdeckte ihn Papst Miltiades schon gegen 312. Im
Handumdrehen bedrohte diese »babylonische Religion« Kirche wie Staat und wühlte trotz aller
Ausrottung von Armenien bis nach Frankreich im Mittelalter ebenso weiter wie nach Chinesisch-
Turkestan und dem Osten hinüber. •
E. Brandenburg, Neue jüdische Monatshefte I, (1916), S. 72.
2) Vgl. mein »Altai-Iran« und die Skizze von Paul Horn, »Was verdanken wir Persien« (Nord und Süd, XCIV, 1900, S. 277 f.\
3) Vgl. dazu »Altain-Iran«, S. 3.
4) Vgl. Cumonts zahlreiche Schriften und Grill, »Diepersische Mysterienreligion im lömischen Reich und das Christentum«, 1903.
ö) Vgl. Cumont, »La propagation du manich^isme dans l’empire romain«, Revue d’hist. et de litt, religieuses 1909.

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