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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 2) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47011#0125

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INHALT

575

erhöhten Bühne in den zweckmäßig umgebildeten Grabraum, das Martyrion, eingebaut wurde.
Grabdenkmal und Kirche flössen so in eine Einheit zusammen, an der die Persönlichkeit des Stifters
dauernd Anteil behielt. Nur so ist die reiche Mannigfaltigkeit in der Entstehung von Bauformen zu
begreifen. Erst seit dem 5. Jahrhundert griff die Kirche selbst ein, ohne jedoch gegen das bereits
im 4. Jahrhunderte gefestigte nationale Bauempfinden aufkommen zu können. Wir sehen später
neben dem Martyrion gewöhnlich das Grab des Stifters nicht als eigenen Bau sondern als Kreuz-
stein in mehr oder weniger denkmalmäßiger Aufmachung stehen (S. 251 f.). Die Kirche bleibt dann
als Opfer- und Andachtsraum zum Gedächtnisse um der Fürbitte willen getrennt von der Grabstätte.

Einleitung: Der arische Grundzug.
Die Armenier sind von Haus aus Arier; es scheint, daß die beobachtete Entwicklung ihrer
christlichen Baukunst damit zusammenhängt. Mit zwei andern verhältnismäßig reinen und geschlossen
arischen Kunströmen, dem griechischen und dem nordischen (gotischen), teilt sie im Gegensatz zu
Mischstilen wie dem römischen, romanischen, byzantinischen, der Renaissance und dem Barock den
Vorzug, daß sie, nachdem einmal die Anfänge gegeben waren, sich trotz eines später einsetzenden
fremden Einschlages folgerichtig weiter entwickelte. Die drei ersten der letztgenannten »Stile« er-
hielten immer wieder neue Nachschübe von Osten, die beiden letzteren von der Antike her. Da den
beiden verhältnismäßig selbständigen Einheiten, der griechischen und nordischen, von nun ab als dritte
die armenische zuzurechnen sein wird, gewinnen wir weiteren wichtigen Vergleichsstoff für die Be-
stimmung arischer Eigenart’) und es entsteht die Frage, inwieweit die Rasse bei der Entstehung
dieser Stile und der armenischen Baukunst im Besonderen mitbeteiligt war. Sie dürfte u. a. eben
in der Durcharbeitung der grundlegenden Baugedanken bis in die letzten selbst ungesunden Möglich-
keiten hinein zu suchen sein, zugleich auch darin, daß zunächst unter Verzicht auf allen reicheren
Schmuck nur das Bauen an sich die Form bestimmt.
Der Arier baut, soweit er auf sich gestellt ist und nicht wie im Griechischen und Indischen in
vorarischen Baugewohnheiten fußt, Raum — Raum, der an sich wirken soll, so daß schon durch ihn
allein beim Betreten des Bauwerkes das Gefühl von etwas Bedeutendem geweckt wird2). Darin
ist die armenische Baukunst noch überraschender und einfacher vielleicht als die »Frühgotik«. Auch
in ihr entwickelt sich die schmuckvolle Ausstattung erst allmählich, bis sie schließlich die Bauten
geradezu überwuchert. Das vorliegende Buch geht dem Armenischen nur bis zu der Grenze nach,
die den Schmuck immer noch hinter dem Bauen zurückstehend zeigt.
Das Betreten eines Baues wie Mastara, Thalisch, Mren und des Domes zu Ani, ja selbst derHripsime
bleibt jedem geschulten Beobachter unvergeßlich: er empfindet unwillkürlich die Einfachheit eines
Baugedankens von weltgeschichtlicher Entwicklungsmöglichkeit und es erfüllt ihn der heiße Drang,
dieses arische Wesen zu verstehen, wie in den Tempeln von Pästum oder in einem der Werde-
bauten des Nordischen auf französischem Boden. Die Keime scheinen dem Schauenden noch greifbar
und ebenso entfalten sich ahnungsreich die Möglichkeiten des Werdens in seiner Vorstellung. Es
ist ein Glück, das noch Bauten der armenischen Kunst des 7. Jahrhunderts erhalten sind. Später
überwuchert weitaus die Kuppelhalle und läßt die ihr vorausliegenden getrennten Reihen der
quadratischen Kuppel und des Langbaues bzw. der Verbindung beider kaum noch vermuten. Dieser
Zufall ermöglicht es, einzelnen Zügen im seelischen Gehalt des armenischen Bauwesens nachzugehen,
besonders dem der arischen Folgerichtigkeit ihrer Entwicklung und des Eingreifens einzelner Persön-
lichkeiten.
Folgerichtigkeit. Ich suche zu begreifen, wie das Dorische, Nordische und jetzt das
Armenische geworden sein können und sehe als wichtigste Triebkraft die Folgerichtigkeit, die am
Anfänge wohltätig, später verderblich wirkt. Ich nehme als Beispiel die nordische Art in Europa,
die auf dem Boden Nordfrankreichs zu einer Zeit zu wirken beginnt, wo im Süden Burgund einen
') Vgl. »Die bildende Kunst der Arier«, Deutsche Warschauer Zeitung Nr. 58/9 un^ 61/2 vom 28. II. und 1./3. III I9IS.
2) Vgl. dazu Theodor Fischers gegenwärtige Forderung in meinem »Die bildende Kunst der Gegenwart«, S. 24, ferner »Altai-
Iran«, S. 191 f.

 
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