Traum eines Rilters und Hypnerotomachia Poliphili
sie die in der Forschung vorgebrachte These, daß Raphael liier ursprünglich Venus
im Rontext des Parisurteils habe darstellen wollen , vielmehr ist dieses Motiv eine
Allusion innerhalb der Ikonographie der Drei Grazien-Darstellung. Auch die rituel-
le Besiegelung des Liebesbundes zwischen Polia und Poliphilo im Tempel der Venus
wird mit einer feierlichen Anrufung der Drei Grazien eröffnet85 und gipfelt in einer
Zeremonie, in der die Priesterin drei Apfel vom Altar der Venus nimmt, von denen
sie Polia und Poliphilo jeweils einen reicht, den dritten für sich selbst behält84.
Ausdrücklich bezeichnet sich Polia als >zweite Atalanta<, da sie wie diese nur mit
Hilfe der drei Venusäpfel bezwungen worden sei ', und Poliphilo erscheint die
Schönheit Polias so eindrucksvoll, daß in seinen Augen ihr der'wahre Apfel im Urteil
des Paris gebühre' '.
Offensichtlich hat sich Raphael in der poetischen Ausgestaltung seiner Personi-
fikation der tugendhaften Liebe an der Sichtbarkeitsmetaphorik für Polia in der
Hypnerotomachia inspiriert, und offenbar stehen auch die Drei Grazien mit den
drei Äpfeln als Venusattributen mit dieser in engem thematischen Zusammen-
hang87. Daß diese Liebesmetaphorik der Hypnerotomachia schon zu Beginn des
HL Jahrhunderts einigermaßen verbreitet gewesen sein muß, belegt die Tatsache,
daß Lorenzo Magnifico sich in einem der Gespräche am Hof von Urbino im
Cortegiano über die zahlreichen Menschen sogar lustig macht, die ihre Liebesbrie-
fe und -gespräche mit Hilfe der Redewendungen des Poliphilo bestritten88.
Rehren wir an diesem Punkt zu der Betrachtung der bisher übergangenen
Bereiche von Raphaels Darstellungzurück: Die geringsten Interpretationsprobleme
bereitet die thematische Deutung der linken Personifikation, die - tatsächlich am
ehesten Panofskys ikonographischer Interpretation nahe - in ihrer strengen,
schmucklosen Kleidung ohne Faltenornament, ihrer gedämpften Farbigkeit und
mit ihren Attributen - Schwert und Buch - offensichtlich Tugenden verkörpert, die
mit Stärke und Bildung, physischer und intellektueller Rraft bzw. mit Macht und
Vernunft, umschrieben werden können, ohne aber - und dies ist im Unterschied
zu Panofskys moralischem Antagonismus zwischen Gut und Böse zu betonen - in
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Hommage ä Raphael, 1985, S. 49. Etwas vorsichtiger argumentiert S. Beguin, Nouvel-
les recherches, 1987, S. 4651'. (vgl. ebd. die [nfrarotreflektographie mit der Unterzeich-
nung, Abb. 254a).
F. Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, 1964, S. 217, vgl. S. 557.
Ebd., S. 227. Diese Szene ist auch in einem Holzschnitt dargestellt: Abb., S. 228.
Ebd., S. 428.
Ebd.,S. 155.
In ähnlicher Form sind die Drei Grazien mit drei goldenen Äpfeln auch in Francesco
Cossas Aprilfresko mit dem Triumph der Venus im Salone dei Mesi im Palazzo
Schifanoia neben Venus dargestellt.
B. Castiglione, Libro del Cortegiano, 1987, Buch LXX, S. 266.
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sie die in der Forschung vorgebrachte These, daß Raphael liier ursprünglich Venus
im Rontext des Parisurteils habe darstellen wollen , vielmehr ist dieses Motiv eine
Allusion innerhalb der Ikonographie der Drei Grazien-Darstellung. Auch die rituel-
le Besiegelung des Liebesbundes zwischen Polia und Poliphilo im Tempel der Venus
wird mit einer feierlichen Anrufung der Drei Grazien eröffnet85 und gipfelt in einer
Zeremonie, in der die Priesterin drei Apfel vom Altar der Venus nimmt, von denen
sie Polia und Poliphilo jeweils einen reicht, den dritten für sich selbst behält84.
Ausdrücklich bezeichnet sich Polia als >zweite Atalanta<, da sie wie diese nur mit
Hilfe der drei Venusäpfel bezwungen worden sei ', und Poliphilo erscheint die
Schönheit Polias so eindrucksvoll, daß in seinen Augen ihr der'wahre Apfel im Urteil
des Paris gebühre' '.
Offensichtlich hat sich Raphael in der poetischen Ausgestaltung seiner Personi-
fikation der tugendhaften Liebe an der Sichtbarkeitsmetaphorik für Polia in der
Hypnerotomachia inspiriert, und offenbar stehen auch die Drei Grazien mit den
drei Äpfeln als Venusattributen mit dieser in engem thematischen Zusammen-
hang87. Daß diese Liebesmetaphorik der Hypnerotomachia schon zu Beginn des
HL Jahrhunderts einigermaßen verbreitet gewesen sein muß, belegt die Tatsache,
daß Lorenzo Magnifico sich in einem der Gespräche am Hof von Urbino im
Cortegiano über die zahlreichen Menschen sogar lustig macht, die ihre Liebesbrie-
fe und -gespräche mit Hilfe der Redewendungen des Poliphilo bestritten88.
Rehren wir an diesem Punkt zu der Betrachtung der bisher übergangenen
Bereiche von Raphaels Darstellungzurück: Die geringsten Interpretationsprobleme
bereitet die thematische Deutung der linken Personifikation, die - tatsächlich am
ehesten Panofskys ikonographischer Interpretation nahe - in ihrer strengen,
schmucklosen Kleidung ohne Faltenornament, ihrer gedämpften Farbigkeit und
mit ihren Attributen - Schwert und Buch - offensichtlich Tugenden verkörpert, die
mit Stärke und Bildung, physischer und intellektueller Rraft bzw. mit Macht und
Vernunft, umschrieben werden können, ohne aber - und dies ist im Unterschied
zu Panofskys moralischem Antagonismus zwischen Gut und Böse zu betonen - in
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Hommage ä Raphael, 1985, S. 49. Etwas vorsichtiger argumentiert S. Beguin, Nouvel-
les recherches, 1987, S. 4651'. (vgl. ebd. die [nfrarotreflektographie mit der Unterzeich-
nung, Abb. 254a).
F. Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, 1964, S. 217, vgl. S. 557.
Ebd., S. 227. Diese Szene ist auch in einem Holzschnitt dargestellt: Abb., S. 228.
Ebd., S. 428.
Ebd.,S. 155.
In ähnlicher Form sind die Drei Grazien mit drei goldenen Äpfeln auch in Francesco
Cossas Aprilfresko mit dem Triumph der Venus im Salone dei Mesi im Palazzo
Schifanoia neben Venus dargestellt.
B. Castiglione, Libro del Cortegiano, 1987, Buch LXX, S. 266.
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