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Courbet und der Realismus

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als er das „Jagdpicknick“ und die „Mädchen am Seineufer“ malt,
an blumig leuchtender Farbigkeit unter freiem Himmel. Aber ein
Freilichtmaler strenger Observanz wurde er dabei nicht; die ver-
haßten „Messieurs du Louvre“ hielten ihn, wenn er mit der mensch-
lichen Figur zu tun hatte, doch in ihrem Bann. Seine Stillebengesin-
nung, der man kostbarere Stilleben verdankt als je ein alter Hollän-
der oder Chardin malte, vergaß er nur, wenn er der Landschaft ein-
sam gegenübertrat. In seinen Jura-Ansichten reckt sich die Landschaft
zu einer stillen Größe der Erscheinung auf, von der auch die Meister
von Fontainebleau nichts empfunden hatten. Groß und majestätisch
gesehen, als ob er ihren geheimnisvollen Zauber in stillen Mond-
nächten erlebt hätte. Und in seinen Meerbildern wird diese Kunst,
sonst so unbewegt, dramatisch und fast menschlicher als alles, was
er sonst je gemalt hatte. Seine Fähigkeit, die Flächen in Schwingung
zu versetzen, ursprünglich vielleicht an Constable gebildet, feiert
hier ihre höchsten und überraschendsten Triumphe. Er kam erst
spät ans Meer, erst im Jahre 1865. Aber dann ließ es ihn nicht mehr
los, immer wieder kehrte er nach Trouville, nach Etretat zurück,
und immer leidenschaftlicher liebte er die See, das Element. Er
rückt es sich ganz nahe, öffnet sozusagen das Innere des Elements
und läßt das endlose Rollen der Fluten auf sich einströmen, immer
dramatischer, immer tönender, immer wilder. Der Kontrast der tief
smaragdgrünen Brandungswellen mit den bernsteingelben Schaum-
kronen gegen den braunen, von schwefligen Lichtern durchsetzten
Himmel hat etwas Begeisterndes. Nie ward das Meer als Element
so dämonisch aufgefaßt. Aber es ist nichts von Affekt darin. Ein
überlegenes Auge zügelt die Gewalten. Ton für Ton baut der Künst-
ler auf, und er steigert den Rhythmus aus dem Dunkel zum Lichten.
Daß die Landschaft eine Angelegenheit des Tones ist, hat Courbet
einmal selbst gesagt und es, was bei ihm schwer wiegt, auch in den
Augenblicken der größten Leidenschaft nicht vergessen. Mit diesen
Meerbildern, von denen es Hunderte gibt und die vielleicht, trotz
aller anderen Herrlichkeiten seiner Kunst, sein bedeutendstes Ver-
mächtnis darstellen, nimmt er lebendigsten und schöpferischsten An-
teil an dem, was der Zukunft gehören sollte.
 
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