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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Schmarsow, August; Ehlotzky, Fritz: Die reine Form in der Ornamentik aller Künste, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0021
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DIE REINE FORM IN DER ORNAMENTIK ALLER KÜNSTE. 17

voller Erlebniskraft (Mittelteil), indem der anfangs lässig Dasitzende
aufspringt und seine innere Bewegung, mit leise dämpfendem melancho-
lischen Anflug — durch die immer noch beherrschten Glieder seines
Körpers ausströmen läßt. Im letzten Teil meldet sich wiederum, und
diesmal energischer, das Bedürfnis nach Ruhe. Ein mattes Sich-wehren
noch, — und Harlekin sinkt kapitulierend in seinen Sitz zurück.

So entsteht, man kann beinahe sagen: zwangsläufig, aus dem ge-
gebenen Inhalt eine deutliche tektonische Grundform, in der ein domi-
nierendes Mittelstück von zwei schon rein inhaltlich im Verhältnis der
Symmetrie stehenden Seitenteilen flankiert erscheint. Rein äußerlich
wird der Mittelsatz durch die Beteiligung auch der Beine an der Be-
wegung hervorgehoben, während die sitzend gemimten Seitenstücke
von selbst sich dem Ganzen bescheiden unterordnen. Diese Symmetrie
wird aber auch in der Durchführung der Einzelheiten wiederkehren.
Zu Anfang und zu Ende wird in lässigem Schwung die ornamentale
Bewegung überwiegen, wie sie als Anklang an Empfundenes von
selbst aus den Gliedern, besonders den Händen und Armen fließt; im
Hauptteil jedoch mag wohl, besonders am Höhepunkt des Spieles, die
reine Ausdrucksbewegung, von den letzten Kräften noch ganz durch-
seelt, sich selbst vergessend — also auch in dem Vollgehalt des Ge-
fühls — zum Durchbruch kommen.

Dieses Beispiel macht auch eine Tatsache deutlich, auf die wir in
diesem Zusammenhang noch hinweisen möchten, weil sie ein Licht
wirft auf die Beziehungen zwischen ornamentaler Form und Ausdrucks-
form, die beide in ihrer Reinheit eine Polarität darstellen. Jede künst-
lerische Form läßt ein gewisses Höchstmaß der Füllung zu. Je nach-
dem ihr Rhythmus vom Unbewußten her oder vom Willen bestimmt
wird, entsteht die reine Ausdrucksform oder das Ornament. In dem
Maße, als die seelische Kraft versiegt, wird der Wille zur reinen Form
sich durchsetzen. Beide können nicht in voller Intensität nebenein-
ander bestehen; denn sie schließen als Pole einander aus; wohl aber
können sie, ineinandergreifend, sich begegnend so ergänzen, daß der
^esamtbedarf einer Form, damit sie als künstlerisch vollwertig em-
P unden werde, von beiden, sowohl vom inneren Formtrieb als auch
vom äußeren Formwillen, bestritten wird. Ja, man kann wohl sagen,
daß nur eine solche »Erfüllung« einer Form in dem Empfangenden
das Gefühl des reinen Kunstwerks auszulösen vermag.

(Ehlotzky.)

Zeilschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XVII.
 
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