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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Paret, Hans: Zur kunstgeschichtlichen Periodeneinteilung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0068
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64 BEMERKUNGEN.

stimmte Zeit die Art des Wandels innerhalb der verschiedenen Lebensgebiete auch
in der Art des Wandels künstlerischer Gestaltung wiederfinden wollen, so ist eine
solche Korrelation nur möglich, wenn wir zuerst die einzelnen Reihen für sich auf
Grund ihrer eigentümlichen Bedingungen verfolgen, wenn wir also etwa in der Reihe
der Kunstwerke, die sich ja von anderen geschichtlichen Gegenständen durch das ihnen
zugrunde liegende Prinzip der individuellen Gestaltung unterscheiden, den Wandel
eben in der Art dieser künstlerischen Gestaltung herauszuheben versuchen. Erst
wenn wir in dieser Weise die wirklich künstlerischen Änderungen überblicken, können
wir sie anderen Reihen an die Seite stellen, um nun zu sehen, ob sich etwa ein
Wandel der religiösen Haltung oder des Persönlichkeitsbegriffs auch auf dem Gebiet
der Kunst ausdrückt als ein Wandel der künstlerischen Gestaltung. Dieser künstle-
rische Wandel erscheint dann als ein Glied des gesamten Kultursystems und bleibt
doch eigengesetzlich ein eigentümlicher Wandel des Kunstwollens, sofern man nur
diesen Begriff des Kunstwollens so rein faßt, wie Panofsky, nicht als psychologische
Wirklichkeit, auch nicht als abstrakten Gattungsbegriff, sondern als den letzten ob-
jektiven Sinn im künstlerischen Phänomen').

Dieses eigene Wachstum der Kunst in seiner Reinheit zu verfolgen, ist Wölfflins
Bemühen, wie er es erst kürzlich wieder in seiner kleinen Schrift über das »Erklären
von Kunstwerken« klar umrissen hat. Das ganze Leben kommt zum Ausdruck in
der Kunst. Und doch hat diese ihre eigene Struktur und ihr eigenes Wachstum in
der inneren Logik sich folgender Stufen der Gestaltung, die als Sehstufen einer rein
optischen Entwicklung zu trennen sind von der Ausdruckskomponente und gerade
in dieser Trennung die reine Eigengesetzlichkeit der künstlerischen Gestaltung und
ihrer Entwicklung kenntlich machen sollen. Doch ist es nicht unbedenklich, diese
eigene Entwicklung als optische Entwicklung zu bezeichnen. Zwar verstehen wir
diese Bezeichnung gut: ist die Kunst eine eigentümliche unverlierbare menschliche
Lebensäußerung, also gewissermaßen eine bleibende Funktion der menschlichen
Organisation, dann ist der Schritt von der geistigen Organisation zur physiologischen
nur klein, und leicht erscheint die bildende Kunst, die doch des Auges nicht ent-
raten kann, als beruhend auf der eigentümlichen Tätigkeit des Auges. Konrad
Fiedler hat diesen Schluß gezogen, und Hildebrands Einseitigkeit ist zum Teil wohl
auch dadurch bedingt, daß er die Einheit des Kunstwerks an den einheitlichen
physiologischen Sehvorgang bindet. Durch ähnliche Bindung an das Auge gelangt
Wölfflin zu seiner Trennung der zwei Komponenten, der Ausdruckskomponente und
der spezifisch optischen Entwicklungskomponente, der Wandel künstlerischer For-
mung wird so zu einem Wandel des Sehens. Und doch ist, nach dem treffenden
Wort Panofskys, die optische Einstellung »streng genommen eine geistige Einstel-
lung zum Optischen« und »das Verhältnis des Auges zur Welt ist in Wahrheit ein
Verhältnis der Seele zur Welt des Auges«. Als den Ausdruck dieses Seelischen,
dieses geistigen Wesens deuten wir dann alle einzelnen Lebensäußerungen und in
der Kunst selbst wieder alle getrennt beobachtbaren Reihen, also etwa den Wandel
in der künstlerischen Rhythmik der Räume eines Bauwerks wie den Wandel in der
Zweckbestimmung dieser Räume oder die Änderung der Bildgestaltung und Formen-
sprache so gut wie die Änderung in der dargestellten Gegenständlichkeit: nur darf
jenes geistige Wesen nicht als metaphysische Substanz, auch nicht als psycholo-
gische Wirklichkeit, ebensowenig aber als leere Abstraktion verstanden werden, son-

') Erwin Panofsky, »Der Begriff des Kunstwollens«, Zeitschr. f. Ästh. u. Kunst-
wissensch. Bd. XIV; außerdem zum folgenden »Das Problem des Stils in der bilden-
den Kunst« in Bd. X.
 
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