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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0089
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BESPRECHUNGEN. 85

Hegel längst überwunden hatte, schenkte hier einer unromantischen Zeit ein ge-
schichtliches Meisterwerk über einen Gegenstand, der wohl noch diesen oder
jenen »Alten«, aber kaum die große Masse derer, die damals auf irgend welche
Weise »Geschichte machten«, interessieren konnte. Denn: wer möchte im Ernst die
»Romantiker« der 80er Jahre — Scheffel vor allem und seine unzähligen Nach-
treter — mit der echten alten Romantik in Verbindung bringen? Altertümelei und
Sentimentalität machen noch keine Romantik. Aber eine neue Zeit stand vor der Tür.
In bewußtem Gegensatz zu dem zu Materialismus und Naturalismus fortge-
schrittenen Realismus, der seinerzeit der Totengräber der Romantik gewesen war,
entwickelten sich neu-romantische Ideen, und in einer ganz ähnlichen Weise als es
100 Jahre früher der Fall gewesen war, bereiteten Musik und Philosophie den Boden
für eine neu-romantische Dichtung und für eine neu-romantische Weltanschauung
vor. Georg Brandes ist bereits eine Übergangserscheinung und seine zu ihrer Zeit
viel gelesene Geschichte der deutschen Romantik (»Die Literatur des 19. Jahrhunderts
in ihren Hauptströmungen«, deutsch 1872 ff. und 1882 ff., Bd. 2: Die deutsche roman-
tische Schule) dementsprechend ein mannigfach-bewegtes, teilweise in der Welt-
anschauung des Naturalismus wurzelndes, teilweise eben diesen Naturalismus selbst
in einer den Franzosen abgelernten Weise ins Romantische umbiegendes, seiner
literarischen Form nach bereits wieder »aphoristisch-pointiertes«, im großen und
ganzen recht oberflächliches Werk. In ungleich gründlicherer Weise bearbeitete
ungefähr zur gleichen Zeit Dilthey, der schon in seinem »Leben Schleiermachers«
(1870) eine zusammenfassende Darstellung versucht hatte, die auch für weitere
Kreise immer interessanter werdende Epoche, und bald konnte man hier und dort
das Urteil hören: Hayms Buch sei viel zu kritisch-ablehnend gestimmt und lasse
seinem Gegenstand nicht volle Gerechtigkeit widerfahren. Ricarda Huch — selbst
eine Neu-Romantikerin von Geblüt! — versuchte mit Glück eine neue Darstellung
der gesamten Romantik (1899 und 1902), allein das neue Werk zeichnete sich zwar
durch eine äußerst glückliche Charakteristik der Persönlichkeiten aus, ließ aber
die eigentlichen Probleme der romantischen Weltanschauung in einer gewissen
Unscharfe, was sich besonders im 2. Band — wo es sich um eine deutliche Heraus-
arbeitung der inneren Notwendigkeit gehandelt hätte, mit der die von Anfang an
der Romantik innewohnenden Todeskeime schließlich aufgehen und ihren eigenen
Mutterboden zersetzen — sehr störend bemerkbar macht. Es fehlte an dem festen
philosophischen Unterbau, ohne den gerade dieses Stück Geistesgeschichte nicht
bewältigt werden kann. Auch Walzels Untersuchungen blieben allzusehr im Rein-
Historischen und konnten deshalb Lesern, die in den weltanschaulichen Problemen
der Romantik »lebten«, schwerlich ganz genügen. Neuere Arbeiten, wie z. B. die
Bücher Karl Joels (»Nietzsche und die Romantik«, 1905), Simons (»Die theoretischen
Grundlagen des magischen Idealismus von Novalis«, 1905) und Marie Joachimis
(»Die Weltanschauung der deutschen Romantik«, 1905), vor allem aber das unvoll-
endete Werk Erwin Kirchers (»Philosophie der Romantik«, 1906), sowie Steppuhns
Aufsatz über Friedrich Schlegel (1910 im Logos) und zuletzt die nachgelassene Arbeit
von Siegbert Elkuß (»Zur Beurteilung der Romantik«, 1918) weisen dagegen unter
teilweise höchst liebevollem und verständigem Eingehen auf eine als »verwandt«
empfundene Zeit gerade auf die philosophischen Grundfragen hin. Sie
erstreben eigentlich letzten Endes eine Auseinandersetzung mit der neuen Zeit auf
Grund eines historischen Verständnisses und einer kritischen Analyse der alten! Die
Grundlage aber, auf der sie bauen, ist der im letzten Drittel des verflossenen Jahr-
hunderts gleichfalls neuerwachte und heute offenbar sich in einer schweren Krisis
befindende Kantianismus!
 
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