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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0093
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BESPRECHUNGEN. 89

losischen Feinheit eines Tetens und aller der übrigen Denker, welche Kant voran-
gegangen waren und welche die entscheidenden Momente vielfach sogar richtiger
erfaßt und vorurteilsfreier erörtert hatten als die »Kritik der Urteitskraft«, die teils
unter der Einzwängung der Gedanken in das Schema der Kategorienlehre, teils
unter dem fruchtlosen Bemühen litt, den Zweckmäßigkeitsbegriff, subjektiv gewendet,
in der Ästhetik zu uneingeschränkter Geltung zu bringen, wiewohl derselbe seiner
objektiven Gestalt nach von Kant selber als untauglich zur Charakteristik des ästhetisch
Gefallenden erkannt worden war. Kurz, es ist eine so selbstverständliche Sache,
daß man sich fast schämt', sie eigens zu betonen: wer Ästhetiker sein, d. h. die
Philosophie des Schönen pflegen will, muß überhaupt Philosoph sein. Winckelmann
aber gebrach es an spezifisch-philosophischer Begabung ganz und gar. Schon seine
Urteile über die Bedeutung und die Verdienste zeitgenössischer Ästhetiker gestatten
hinsichtlich dieses Punktes keinen Zweifel. Zwar, daß er mit Webb nicht sehr viel
anzufangen wußte, wird man ihm kaum übelnehmen dürfen. Denn einige gute und
später vielfach aufgegriffene Gedanken der Webbschen Untersuchung, wie der im
vierten Gespräch ausgeführte, daß die eigenartige Schönheit der Grazie sich ohne
Bewegung nicht entfalten könne, erscheinen doch zu naheliegend, als daß sie ihrem
Urheber einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Ästhetik sicherten.
Wunder nehmen kann höchstens, daß die Gleichheit der Tendenz, die sich haupt-
sächlich im zweiten Gespräch kundgibt, der Umstand, daß Webb ebenfalls in der
Abwendung von dem Affekterregenden oder stark auf die Sinne Wirkenden und in
dem Hinstreben zur ruhigen, stillen Schönheit den wesentlichen Fortschritt jeder
Kunst, der Poesie wie der Malerei, erblickte, nicht eine andere, höhere Einschätzung
des Buches von Winckelmanns Seite veranlaßt hat. Allein, daß dieser sich über
Lord Kaimes in der abfälligsten Weise äußerte, während ihm der gute, brave Hage-
dorn als Ästhetiker und Kunsttheoretiker nicht wenig imponierte, macht wohl jede
weitere Begründung seiner eigenen Untauglichkeit zum Philosophen überflüssig.
Home — unter diesem Pseudonym ist Lord Kaimes bekanntlich vors Publikum ge-
treten —, der schon im Eingang der »Elements of criticism«- mit dem Hinweise auf
die Projektion, die Externalisation der Empfindungen des Auges und Ohrs einen
der wichtigsten Schritte zur Begriffsbestimmung der ästhetischen Werte getan und
das Mittel an die Hand gegeben hat, das Schöne von demjenigen sinnlich Ange-
nehmen zu unterscheiden, auf welches das Kriterium des platonischen »Philebos«,
die fühlbare Pein bei dem Mangel des lusterzeugenden Gegenstandes, so wenig
anwendbar ist wie die fehlende Unmittelbarkeit der Lust, — Home, der eben damit
stillschweigend auch bereits die Lehre der modernen englischen Ästhetik von der
»Teilbarkeit« des ästhetischen Genusses, die doch bei peripher oder gar endoperipher
lokalisierten Empfindungen schlechterdings nicht zu erwarten steht, vorweggenommen
hat, — Home, bei dem sich trotz des teilweisen Rückschrittes hinter Shaftesbury
und Hutcheson, wie ihn die Einreihung des Zweckmäßigen unter die Formen des
Schönen oder, genauer geredet, die ungenügende Sonderung des intuitiv erfaßten
und unegoistisch beurteilten Zweckmäßigen von dem gemein Nützlichen bedeutete,
so vortreffliche, scharfsinnige und gründliche Einzelbemerkungen finden, daß man
oft einen exakten Psychologen unserer Tage zu hören glaubt — man denke nur
z. B. an seine Erklärung der Mißfälligkeit eines dem Quadrat sehr nahekommenden
Parallelogramms, die mit der von Wundt und Külpe gebotenen genau übereinstimmt! —,
Home ist in den Augen Winckelmanns nichts als »ein kleiner metaphysischer
Schwätzer!« Und auf der anderen Seite der gelehrte Hagedorn, der so drollig
seinen Natursinn bekundet, indem er den Freund, an welchen die »Betrachtungen
über die Mahlerey« gerichtet sind, daran erinnert, wie sie »bald von Horaz und
 
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