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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0123
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BESPRECHUNGEN. HQ

Kunstwissenschaft als kalt, leer, tot, dumm, nichtssagend, ausdruckslos behandelt.
Sie wird als rein formalistische Kunst der ausdrucksvollen neueren und neusten,
besonders der deutschen mittelalterlichen und der modernsten expressionistischen
Kunst gegenübergestellt und im Vergleich mit ihr verdammt. In den meisten Fällen
liegt dieser Beurteilung eine Beschränkung auf die im engeren Sinne klassische
Kunst zugrunde, da die hellenistische Kunst mit ihrem feurigen Ausdruck der
modernen Kunst zu nahe verwandt ist, um von ernsten Forschern und Kunstfreunden
so verächtlich behandelt werden zu können. Zuweilen liegt auch eine Verwechs-
lung mit der klassizistischen Kunst vor, und man bekämpft die klassische Kunst als
deren verderbliches Vorbild. Nun wird niemand die eklektische Kunst, die sich
schwächlich an ältere Vorbilder anlehnt, mehr verdammen, als derjenige, der die
echt griechische klassische Kunst wirklich kennt und schätzt. Wer erkannt hat, daß
die griechische Kunst tief im Wesen des hochbegabten Hellenenvolkes wurzelt, daß
sie mit allen Fasern mit dem Boden Griechenlands verwachsen ist, daß sie sich
aus dem Tiefsten und Besten des griechischen Geistes und der griechischen Seele
herauskristallisiert hat (vgl. v. Salis S. 293), der kann nur mit Bedauern sehen, wie
spätgriechische, römische, italienische, nordische Künstler immer wieder versucht
haben, die schöne Form nachzuahmen, die doch unter fremden Händen ihre Seele,
ihre Empfindung verlieren mußte. In Wahrheit steht jede echte und bodenständige
Kunst der griechischen Kunst näher als die klassizistische Kunst. Die moderne
Kunst glaubt in schroffem Gegensatz zu der antiken Kunst zu stehen, weil sie sich
von der Naturwirklichkeit zu lösen sucht, um die eigentliche Wahrheit jenseits der
Erscheinungen zu fassen. Sie folgt damit dem modernen Empfinden, das sich von
den Objekten unabhängig zu machen sucht, um durch Naturferne Übersicht und
damit Erkenntnis zu erlangen. Nun sagt v. Salis von der archaischen Kunst (S. 62):
»Wir haben es mit einer Kunst zu tun, welche die nackte Wahrheit zurückstellt, um
einer Welt der reinen Vorstellung Platz zu schaffen«. Das ist im Grunde identisch
mit dem Streben der modernen Kunst, und es gilt nicht nur für die frühe, sondern
auch für die gesamte griechische Kunst wie für jede echte Kunst. Jeder echte
Künstler hat zu allen Zeiten sein Ziel nicht darin gesucht, die Welt getreu nach-
zuahmen, sondern mit Hilfe von Formen, Linien, Farben usw. seine Ideen von der
Welt auszudrücken. Von der klassischen Kunst sagt v. Salis (S. 81): »Der Bildstoff
erscheint durchgeistigt und gesehen durch ein Temperament«. Auch das gilt weder
nur für die Klassik, noch nur für die moderne Kunst, sondern für alle lebendige
Kunst aller Zeiten. Verschieden sind in den verschiedenen Kunstperioden nicht die
Grundgesetze jeder bildenden Kunst, sondern einerseits die Ideen, die sie aus-
drücken wollen, anderseits die Mittel, die sie sich zu diesem Zweck wählen und
über die sie verfügen. Die großen Ideen und Gefühle, die die Kunst wiedergibt,
sind niemals andere als die höchsten und besten der jeweiligen Kultur. Das Unter-
scheidungsmerkmal der bildenden Kunst gegenüber den übrigen Zweigen der Kultur
ist die formale Fassung bestimmter allgemeiner Tendenzen. Diese Tendenzen selbst
aber sind dieselben, die die Gesamtkultur zeigt. Die Kunst ist jederzeit ein Spiegel des
Lebens und muß es sein, da sie denselben Gesetzen und demselben Stil unterliegt
wie alle anderen gleichzeitigen Erscheinungen. Die Mittel, die die Kunst für ihre
Zwecke wählt und über die sie verfügt, stehen in der Regel in Wechselwirkung
miteinander. Es ist eine jetzt sehr verbreitete Ansicht, daß jede Kunst das was sie
will auch kann (vgl. dagegen Panofsky, Zeitschr. f. Ästhetik XIV, 1920, 321 ff.).
Man könnte mit gleichem Recht sagen, daß jede Kunst nur das will was sie kann.
In Wahrheit gilt der erste Satz vor allem für große Künstler, die sich die Mittel,
mit denen sie arbeiten wollen, selbst schaffen; der umgekehrte Satz dagegen für
 
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