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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Schmarsow, August: Die reine Form in der Ornamentik aller Künste, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0149
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DIE REINE FORM IN DER ORNAMENTIK ALLER KÜNSTE. 145

des Vordringens würde, und daß die vorwärtsstrebende Haltung Dantes selber überall
erlahmt. Es muß also dem Zeichner die Richtung von rechts nach links auf seinem
Blatt bequemer gewesen sein; oder aber: die innere Gliederung der Komposition,
besonders die Bevorzugung einer Mittelszene für Dante allein, bezeugt schon die
Wahl eines festen Standpunktes gegenüber dem Ganzen, im Unterschied von der
mittelalterlichen Verschiebbarkeit des Standortes im Entlangschreiten an der Wand
zum Ablesen von links nach rechts. Wir gehen noch mit Dante und Virgil rechts
herein: der Führer wendet sich erklärend zurück zu seinem Begleiter, während Statius
zwei Schritte voraus allein daherschreitet, auch er in Philosophentracht und mit dem
Redegestus der lehrhaften Auktorität, nur bescheidener als der große Meister mit
seinem höheren Prophetenhut. Dann folgt in der Mitte Dante allein, umdrängt von
einer Schar Neugieriger, die sich von beiden Seiten ihm zu nähern sucht; sein nächster
Gegenspieler wäre dann Guido Guinicelli. Darauf stoßen wir weiter links auf Virgil,
und Statius im Gespräch miteinander, wie zurückgeblieben hinter Dante, der ans
Ende weiter vorwärts geeilt, wie in eifrigem Suchen in die Flammenbüschel späht
und einen darin fast Versteckten anspricht. Das wäre dann Arnald, den er von
Guido rühmen hörte und deshalb begierig sucht, um seinen Namen zu erfahren. Doch
die wabernde Lohe, die als gemeinsames Medium die Mehrzahl der Gestalten um-
schlängelt und mehr oder weniger verhüllt, läßt nur die fremden Gäste vorn noch
deutlich genug erkennen; sie stellt die malerische Einheit des figurenreichen Ganzen
her. Daraus können wir die Lehre ziehen, daß es ein Irrtum ist, das Wesen des
Malerischen in der Bewegung als solcher allein zu suchen; sie ist nur ein Mittel zur
Herstellung des Zusammenhangs zwischen Körpern und Raum, auf die es dem
Maler ankommt, also nur ein Vehikel zur sichtbaren Vereinheitlichung beider Fak-
toren, nicht aber, auch als schimmernde, flackernde, unkörperliche Bewegung nicht,
— das Spezifisch-Malerische selbst.

Auf Grund des erweiterten Vergleichsmaterials mag hier noch eine Bemerkung
Platz finden, die sich dem Leser vielleicht schon angesichts des einen Beispiels von
selbst aufgedrängt hat: das ist der »Bedeutungswandel«, der sich mit dem
Ornament vollzieht, sowie es selbst zur Naturnachahmung übergeht, also eigene
Werte darzubieten anfängt. Die durchsichtigen Wellen des nassen Elements, in dem
menschliche Gestalten erscheinen, können gezeichnet rein lineare Musterung des
Grundes bleiben, wie die flackernden Flammen auf Dantes Läuterungsberg in
graphischer Wiedergabe; aber sie werden schon durch die Phantasie zu mitwirkender
Rolle gesteigert. So anerkennen wir Liniengeschlängel gegebenenfalls als Pflanzen-
ornamentik. Und bei der Begegnung der Dichter mit den sechs Riesen in der Unter-
welt haben wir die lebenden Hauptpersonen zur Figurenornamentik herabzusetzen
gewagt, was sie doch nur im Vergleich zu den plastischen Werten der großen Körper
im Vordergrund sein konnten. So anerkennen wir auch im Namen der symbolischen
Ornamentik die Ausnahme von der Regel; denn jedes Symbol vermittelt einen
selbständigen Bedeutungswert, wie das Abbild der Pflanzen, der Tiere, der
Menschen in der naturnachahmenden Ornamentik. Schon die Stoffimitation in der
Draperie, der Kleiderschnitt im Kostüm vollziehen den Übergang zur Darstellung von
Eigenwerten, bei der die »reine Form« nicht mehr in unbeschwerter Leichtigkeit
gesucht werden kann.

Zeilsohr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XVII. 10
 
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