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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0185
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BESPRECHUNGEN. ] 51

einem neuen Ganzen. Dieser hinnehmenden Apperzeption folgt als eine aktive
Phase die Einfühlung, und zwar zunächst die einfache Einfühlung, die nur gewußte
oder vorgestellte seelische Bestimmungen in den Gegenstand projiziert, dann die
sympathische, wahrhaft miterlebende Einfühlung, die bis zur vollen »Einsfühlung«
wachsen kann. Selbst wenn man die Zergliederung des ästhetischen Zustandes in
diese verschiedenen Momente anerkennt, so erscheint doch die Umdeutung des Ver-
hältnisses von Kontemplation und Einfühlung in eine zeitliche Abfolge als kaum
berechtigt. Bedeutet die Kontemplation die Synthese zu einem neuen Ganzen und
will man diese Synthese doch nicht einfach mit der allgemeinen Apperzeption zu-
sammenfallen lassen, dann wird man zu der Annahme geneigt sein, daß in dieser
Kontemplation «1s einer spezifisch ästhetischen Kontemplation von allem Anfang an
schon jene Aktivität der Einfühlung als bestimmender Faktor wirksam ist, ja daß
diese eigenartige Aktivität schon in der ästhetischen Einstellung anderen Einstel-
lungen gegenüber das wesentliche, ästhetische Moment bedeutet. Weiterhin ist der
ästhetische Zustand gekennzeichnet durch die Wertgefühle des Gefallens und Miß-
fallens und durch eine diese Geschmacksurteile begründende Prüfung und wertende
Beurteilung. Zwar sind die einzelnen Geschmacksurteile unendlich wechselnd gemäß
den individuell verschiedenen subjektiven Bedingungen; aber, führt Külpe treffend
aus, gerade indem wir uns über die Gründe dieser Abweichungen verständigen,
besteht das eine allgemeingültige ideale ästhetische Verhalten, das auch das Kriterium
bildet für die Berechtigung der einzelnen Prinzipien der ästhetischen Wirkung.
Diese Prinzipien selbst sucht Külpe als Verallgemeinerungen aus Einzelgesetzen zu
gewinnen, wie sie sich durch empirische Beobachtung ergeben. So führt die experi-
mentelle Untersuchung der elementaren ästhetischen Wirkung zu der alten Forde-
rung der Einheit in der Mannigfaltigkeit, die vom direkten auf den relativen Faktor
ausgedehnt sich allgemein als Prinzip der Einheit und Abstufung des Interesses
aussprechen läßt. Damit ist Külpe bei seinem verhängnisvollen Begriff des Inter-
esses angelangt. Alle Formprobleme lösen sich jetzt in Interessenprobleme auf.
Unter ein Hauptinteresse müssen alle Nebeninteressen untergeordnet werden; dazu
»sind viele Hilfsmittel der Kunst erfunden worden«: Verlegung des Wichtigen in
die Raummitte, in den Vordergrund oder in helle Beleuchtung, die dynamische Ver-
stärkung und die Variierung eines musikalischen Hauptthemas, die Lehre von den
Einheiten. Daraus folgt das Prinzip der Zusammengehörigkeit aller Teile zu einem
Ganzen, das Prinzip der Klarheit als klare Interessenabstufung, das Prinzip der Fülle
und Tiefe, nach dem das Interesse extensiv durch Reichtum stark gefesselt werden
und intensiv tiefgehend sein soll, das Prinzip der Einfachheit und Natürlichkeit,
demzufolge Programmusik verwerflich ,ist. Das Interesse ist auch bestimmend für
die Scheidung der ästhetischen Modifikationen, die eingeteilt werden »nach dem,
was allgemein am ästhetischen Objekt interessiert«. So wird etwa das Interesse
durch ungewöhnliche Quantität gefesselt: ist sie übermäßig, so entsteht die Modi-
fikation des Erhabenen, im entgegengesetzten Fall die des Niedlichen. Beobach-
tungen über Anmut, Erhabenheit, Tragik und Komik beschließen das Buch. Doch
die eigentlichen Probleme des Kunstwerks werden nicht berührt und man sieht
auch keinen Weg, der zu einem befriedigenden Stilbegriff und zu den eigentüm-
lichen Bedingungen etwa einer Bildorganisation oder einer musikalischen Kompo-
sition führen könnte. Denn wo liegt in der einfachsten Radierung Rembrandts
oder in einer Bachschen Kantate dies Prinzip der Einheit und Abstufung des Inter-
esses? Wenn daher, wie der Herausgeber mitteilt, die Aufzeichnungen zur Kunst-
ästhetik kaum über die Anlage hinaus ausgeführt waren und deshalb nicht veröffent-
licht wurden, so wird man darin wohl nicht nur einen Zufall, sondern eine Folge
 
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