Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

DOI Artikel:
Adama van Scheltema, Frederik: Beiträge zur Lehre vom Ornament
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0259
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BEMERKUNGEN. 255

mit dem Übergang vom Selbstschmuck zum Geräteschmuck einsetzt, auch die sub-
jektive und objektive Forschungsmethode getrennte Wege. Zwar finden sich im
Anfang auch jetzt noch Berührungspunkte, und namentlich der Hinweis auf die
väterliche Beziehung des Verfertigers zum Gerät scheint mir außerordentlich wichtig,
weil durch ihn der Sprung vom Körper- zum Geräteschmuck erst verständlich wird.
Ich glaube, daß Schmarsow beim Lesen des ersten Kapitels der »Altnordischen
Kunst«, in dem ich ausführlich diese Fragen erörtere und einige Sätze des Meisters
wörtlich anführe, zufrieden sein wird. Aber nun kommt der kritische Punkt, denn
ich sage: genau so, wie wir den Körperschmuck nur durch den Bau des mensch-
lichen Körpers verstehen, auf den dieser Schmuck sich bezieht, wird auch der Geräte-
schmuck erst durch den Bau des Geräts verständlich. Daß ich dieses Gerät nur dann
ornamental schmücken kann, wenn ich mich in seine Formen einfühle, diese Formen
miterlebe, ändert nichts an der Tatsache, daß es die Formen des Geräts und nicht
die meinen sind, welche die Grundlage und die Begründung für das Ornament
bieten. Auch wenn sich diese Einfühlung, z. B. beim Gefäß durch die Bezeichnung
seiner Teile als Fuß, Bauch, Schultern usw. bemerkbar machen sollte, darf das nie
dazu führen, nur von meinem Gefühl, von meinem Körper zu reden und die
für einen ganz besonderen Zweck so und nicht anders erfundenen Körperformen
des nützlichen Geräts als Anreger meines Gefühls zu übersehen. Die Gefahr macht
sich sofort in Schmarsows Ausführungen bemerkbar, wenn er, einseitig vom mensch-
lichen Körper ausgehend, nun auch beim Gefäß eine »geschlossene Rückseite« und
eine »für Beziehungen nach außen sich öffnende Vorderseite« unterscheiden will,
»wo ihm der Schnabel gewachsen ist«. Denn — ich bitte, das nicht als einen klein-
lichen Einwand zu betrachten — die tatsächliche Entwicklung der rein ornamental
verzierten nordischen Keramik zeigt, daß es auf diese, beim menschlichen Körper
so überaus wichtige Unterscheidung der »Willensachse« nie angekommen ist, daß
es bei den nordischen Neolithgefäßen eben keine Rückseite und Vorderseite und
auch keinen Schnabel gegeben hat. Im ganzen Verlauf der neolithischen Gefäßver-
zierung hatte der nordische Künstler vor allem die Bezeichnung der sehr unmensch-
lichen Allseitigkeit im Auge, des gleichmäßigen Umlaufs in den wagrechten
Gefäßstreifen. Man weise hier nicht auf die späteren, aus religiösen GründenJ'ent-
standenen und als darstellende Kunst zu betrachtenden Gesichtsurnen hin, denn
dann stelle ich diesen sofort die Hausurnen gegenüber. Die allererste Sorge des
frühen ornamentalen Künstlers galt aber der gewissenhaften Bezeichnung des Gefäß-
mund es, nicht etwa, weil er diesen als seinen Mund empfand, sondern weil hier
die gleichmäßig in sich zurückverlaufende Rundung des fassenden Gefäßes in
einem natürlich gegebenen Querschnitt am deutlichsten in die Erscheinung trat. Wäre
es dem primitiven Künstler eingefallen, seine subjektiven, gegenstandslosen Gefühle
über die Gefäßwand zu ergießen, statt die objektiv gegebenen Formen anzuerkennen,
mitzuerleben und mitfühlend zu bezeichnen, so würden wir vor seinem Werk zweife
los sagen: der Mann muß verrückt gewesen sein.

Das mag alles ganz selbstverständlich scheinen, und doch macht der Vertreter
der subjektiv-psychologischen Methode eine Verständigung unmöglich, wenn er nun
weiterhin immer nur die menschlichen Gefühle des Künstlers berücksichtigt. Ich stelle
die Betätigung dieser Gefühle keineswegs in Abrede, setze sie vielmehr als selbst-
verständlich voraus, um dann aber die volle Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand
zu richten, der dieses »sympathische« Gefühl im Künstler erregt und bestimmt. Nach
dem Übergang vom Selbstschmuck zum Geräteschmuck und damit zum eigentlichen
Ornament ist das Gefühl, das in dem Ornament zum Ausdruck kommt, nicht mehr
selbstbestimmt, sondern äußerlich bestimmt.
 
Annotationen