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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Hoerner, Margarete: Manierismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0272
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268 BEMERKUNGEN.

Rundung ein, die Körper dehnen sich wieder in der Fläche aus, wenn auch zu-
gleich in die Tiefe, es gestalten sich wieder Formen, so wenig sie uns auch un-
mittelbar greifbar sind.

Bei Rembrandts »Susanna im Bade« in Berlin ist die Masse der Figuren und
Farben auf eine Seite geworfen. Das Vorwärtsstreben der Susanna nach dem Vakuum
links kommt deshalb um so stärker zur Geltung. Das Porträt bedient sich jetzt
wieder viel öfter der Enfaceansicht bei voller Breite der Schultern. (Rembrandt:
»Hendrikje Stoffels« in Berlin; Rubens: »Helene Fourment mit dem Handschuh«
in München.) Die ausgedehnten Flächen stellen der Durchwühlung und Auflocke-
rung viel größeren Raum zur Verfügung. Jetzt ist ein Körper eben schon »bewegt«
ohne tatsächliche Bewegung. Die kubische Wucht eines Schädels aber erfassen wir
auch bei völliger Auflösung des Konturs, wie etwa bei dem späten Selbstporträt
des Rembrandt in der Sammlung Carstanjen, wo wir nur noch Formen, keine ein-
zige Linie oder Linienverbindung erfassen.

Wir haben im Verlauf der Abhandlung eine Frage unberücksichtigt gelassen,
die am Anfang noch wichtig schien, das ist die Frage nach der Qualität. Wenn
man den Manierismus aber im Zusammenhang mit der ganzen Entwicklung be-
trachtet, wird sie von selbst wesenlos. Die Manieristen sind nicht mehr die Talent-
losen neben den Talentvollen, sondern es gibt innerhalb des Manierismus qualität-
volle und qualitätlose Künstler, wie zu jeder anderen Zeit. Auch der alternde
Michelangelo kann sich den Erscheinungen seines Jahrhunderts nicht ganz entziehen,
ebensowenig wie Praxiteles außerhalb vom Wege steht. Was aber diese Zeit so oft
ungenießbar macht und uns die Freude an ihr verdirbt, ist die Tatsache, daß wir
ebensowenig wie die Künstler damals das Ende ihrer Bestrebungen absehen. Der
Manierismus setzt sich zusammen aus vielen kleinen Teilstrecken, die von A zu B
führen. Die Entwicklung ganz zu durchlaufen, war kaum einem vergönnt. Da aber
jeder seine Kunst als einen Endpunkt ansah, gerieten sie leicht, leichter als in einer
anderen Zeit, in eine gewisse Erstarrung hinein. Es sind lauter Sackgassen, die wir
vor uns haben. Erst der nächste sah wieder das Dahinter. Man kann also ruhig
sagen, daß die ganze Zeit dazu verurteilt ist, wenn nicht qualitätslos, so doch un-
harmonisch, dissonierend zu sein. Es fehlt ihr jener in sich selbst befriedigte, selbst-
bewußte, weil eben seiner Ziele bewußte Charakter der harmonischen Zeiten A und B.
 
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