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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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Schmarsow, August: Die reine Form in der Ornamentik aller Künste, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0310
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306 AUGUST SCHMARSOW.

Zusammenhang anspinnen, wie durch jeden nachschleppenden Zipfel
mit dem Boden unter ihren Füßen, durch jeden ausflatternden Saum
oder sich aufblähenden Bausch mit der Luft, die sie alle umgibt. Die
zufälligen Anhängsel und unwillkürlich hingleitenden Schnörkel der
Kleidung werden jedoch unter den Händen des Malers zu willkommenen
und kunstreich ausgebeuteten Motiven spezifisch »malerischer« Er-
scheinung, bei denen nach Bewegung oder Ruhe kaum noch ge-
fragt wird. Außerdem aber sind es die Farben der Gewänder
neben denen der nackten Teile, die solchen Zusammenhang erst recht
augenfällig machen, indem sie ihn entweder in größeren Flächen-
ausschnitten zur Ruhe betten und in sich gesättigt lagern lassen, oder
in kleineren Streifen oder Flecken nebeneinander zu rhythmischer Ab-
wechslung bringen, also für das Auge in Bewegung versetzen. Schon
hier stehen wir an der Grenze zwischen sachlicher Darstellung und
dekorativem Spiel mit farbigen Elementen, deren an sich überflüssige
Begleitung wir als Ornamentik anerkennen müssen, zumal da, wo sie
sichtlich der einschmeichelnden Empfehlung koloristischer Werte des
Hauptgegenstandes dienen will. Ganz ähnlich wie mit der Wahl und
Austeilung der Farben steht es sodann mit der Wahl der Beleuchtung
und dem Erguß der Lichter im Verhältnis zu den Schatten, also auch
mit dem Helldunkelspiel im Kleinen und im Rahmenwerk, gegen-
über der Dynamik des Helldunkelrhythmus im Großen der Haupt-
erscheinung. Doch wird es schon viel schwerer werden, hier die
Grenze zu ziehen.

Auf ein ganzes Reich umrahmender Ornamentik stoßen wir, sobald
zu den Figuren die sogenannte Landschaft hinzutritt. Wie lange
war ein Baum nichts anderes als ein mehr oder minder glücklich er-
fundenes Füllstück, am Ende einer Figurenreihe oder zwischen ihnen
aufgestellt; er selbst mehr einem Pilz oder einer Staude ähnlich, oder
hier einer schweren Sonnenblume auf fremdem Stengel, dort einer aufs
Land gesetzten Wasserpflanze vergleichbar, genug ein dekorativer
Lückenbüßer, der zugleich als Wahrzeichen hingenommen wurde, der
Vorgang zwischen den Personen spiele unter freiem Himmel. Aber
die Wiedergabe des Laubwerks blieb eine schwierige Sache, selbst
dann, als man darauf ausging, sie zu erreichen. Es war nur eine
Sammeleinheit aus einzelnen Blättern, die zustande kam. Und doch
müssen wir gerade angesichts dieser Schablone für das Einzelblatt,
auch der streng stilisierten, die Erklärung abgeben, daß von »reiner
Form« nicht mehr die Rede sein kann, sowie die Nachahmung
eines Naturvorbildes gewollt wird. Auch die regelmäßige
Form ist immer mit dem Wert des Urbildes behaftet. Damit sprechen
wir aber zugleich ein entscheidendes Urteil über die gesamte sogenannte
 
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