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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0432
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428 BESPRECHUNGEN.

er auch vor jener Religion, deren Gott das Ästhetische ist — denn immer ist in
Zeiten der Ermüdung die Kunst der Religionsersatz — und bekannte in den »Welt-
geschichtlichen Betrachtungen«: >Für den denkenden Menschen ist gegenüber der
ganzen bisher abgelaufenen Weltgeschichte das Offenhalten des Geistes für
jede Größe eine der wenigen sicheren Bedingungen des höheren geistigen Glückes.«
Er hatte den Weg gefunden, der aus der Wissenschaft ins Leben zurückführt, den
Weg, ohne den jede Wissenschaft ein nichtswürdiges Exil ist. Damit sei noch ein-
mal das Problem der Wissenschaft berührt, die sich in ihren Erscheinungswerten
so gern der Kunst annähert. Wir deuteten schon an, wie Schöpfungsakt und Ar-
beitsweise auch einer gewissen Intuition und Gestaltungskraft bedürfen, bildender
Kräfte, die nicht dem Gegebenen oder Gewesenen gehorchen. Zugleich ist zu be-
merken, daß, wie für den Künstler, auch für den Gelehrten grundsätzlich verschie-
denes Verhalten die Methode wie die Wirkung bedinge. Es gibt wie eine Kunst
auch eine Wissenschaft, die nur für sich, für den Schöpfer ihre Kräfte übt, eine
monologische Art, die aus Not und innerer Verpflichtung schafft und das Geschaffene
als Bekenntnis und Erkenntnis geheim bewahrt. Mittel und Zwecke werden von
dieser gewiß jene andere Schöpfungsart unterscheiden, die für die anderen denkt
und gestaltet, sucht und findet, belehrt und wertet. Das Dialogische, das Pädago-
gische wird ihr eigen sein, sie wird ihr Kenntnisse vermitteln, verallgemeinern,
klären und deuten. Sie gehört den Vielen und redet deshalb deren Sprache. Sie
weckt im Hörer und Leser die verehrende Kraft, die — nach Burckhardts Lehre —
so wichtig ist als das zu verehrende Objekt. Kurzum, sie findet den Weg ins Le-
bendige. Wir ahnen nun, was auch hier Burckhardt quälen und entzücken mußte.
Er, der Dichter, Künstler, Denker, der so vieles Monologische in sich wie im Pulte
verbarg — das Köstlichste erschien aus seinem Nachlaß —, war doch zugleich
Historiker, Lehrer, Menschenfreund, der so vieles deutete, wertete, pries. Immer
wieder trieb es ihn zu Belehrung und Aussprache — ihn reden zu hören war immer
Erlebnis —, immer wieder trieb es ihn ins Einsame, Wortlose, Wissende, und war
der Jugendliche, wie wir in seiner Ciceroneliteratur verfolgten, der geborene Päd-
agoge, so wurde der Alternde immer entschiedener einer der stoischen Mitwisser,
die nur dem Geiste Rede stehen. Also auch hier das Widerspiel von Pflicht und
Gesetz! Wer die Weisheit des Lebens dem Weinglase zuraunt, wird er sie auch
dem Schüler, auch dem »süßen Pöbel« im auditorium maximum bekennen können?
Bedarf es nicht immer der Maske, wenn es gilt, von der Bühne in das dunkle
Theater der Menschheit hinauszusprechen? Auch hier entschied wieder der Ethiker
der Werte, der so gern Ehrende und Verehrende, und die stille Vorstadtklause des
entzückten »Eminus« erweiterte sich immer wieder zu der lauschenden Welt der
Lebenden. Es war Drang und so war's Pflicht. Burckhardt erkannte schon in jungen
Jahren, daß der Lehrer Wisser und Weiser, Denker und Seher, Vorbild und Priester,
Opfernder und Opfer in einer Persönlichkeit sein müsse, daß ein ganzes Leben von
Glück und Qual, Entsagung und Pflichttreue, Zucht und Freiheit sein müsse, ja
kaum ausreiche, um das Amt der Berufung im Reiche der Kunst zu üben. Dem
entsprach auch sein Verhältnis zu Wissenschaft und Werk, seine Flucht vor dem
Buch und seinem Erfolg, seinem Ruhm bei der Masse. Ihm, dem Einsamkeit trotz
allem Asyl war, der sich Menschenhaß aus der Fülle der Liebe trank, dessen Regel
es war: *bene vixit qui bene latuiU, der seine besten Gedanken im Pulte verbarg,
der einen ganzen Schatz von Bildung und Weisheit in sich verschloß, wußte sehr
wohl, was auf den Marktplatz taugt und war kein Freund des Bildungspöbels, wie
er heute in Hochschulen und Büchern großgezogen wird. Und doch gab er vieles
den Vielen und setzte mit drei Sternchen auf seine Handschriften Wunsch und
 
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