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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Waetzoldt, Wilhelm: Das theoretische und praktische Problem der Farbenbenennung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0373
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DAS PROBLEM DER FARBENBENENNUNG.

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sondern dem jeweiligen Mitteilungsbedürfnis. Weder ein Farbensystem
physikalischer Natur, noch die wissenschaftliche Einsicht in gewisse
psychologische Eigenschaften und physiologische Grundlagen der
Farbenempfindungen bestimmen ursprünglich die Reihenfolge und Art
der Farbenbenennungen in der Praxis des Lebens. Die Aufstellung
von Farbentheorien bleibt hinter der namenschaffenden Kraft der Sprache
lange zurück.
So besteht beispielsweise kein Zusammenhang zwischen dem antiken
Wortschatz für Farbeneindrücke und den Farbensystemen des Empedokles,
der seinen vier Grundstoffen vier Grundfarben zuordnete, dem der
Pythagoräer oder des Aristoteles, der Schwarz und Weiß als die Ur-
qualitäten des Lichtes und die übrigen Farben als Mischungen dieser
beiden primären ansah. Goethe macht mit Recht darauf aufmerksam,
daß die Farbenbenennungen der Griechen zeigen, »wie klar und richtig
die Alten des Außerihnen gewahr geworden, und wie sehr, als natur-
gemäß, ihr Aussprechen des Erfahrenen und ihre Behandlung des
Gewußten zu schätzen sei.« — »ihre Farbenbenennungen sind nicht
fix und genau bestimmt, sondern beweglich und schwankend, indem
sie nach beiden Seiten auch von angrenzenden Farben gebraucht
werden. Ihr Gelbes neigt sich einerseits ins Rote, anderseits ins Blau,
das Blau teils ins Grüne, teils ins Rote, das Rote bald ins Gelbe, bald
ins Blaue, der Purpur schwebt auf der Grenze zwischen Rot und Blau
und neigt sich bald zum Scharlach, bald zum Violetten.
Indem die Alten auf diese Weise die Farbe nicht als ein nur an
sich Bewegliches und Flüchtiges ansehen, sondern auch ein Vorgefühl
der Steigerung und des Rückganges haben, so bedienen sie sich, wenn
sie von den Farben reden, auch solcher Ausdrücke, welche diese An-
schauung andeuten. Sie lassen das Gelbe röteln, weil es in seiner
Steigerung zum Rot führt, oder das Rote gelbeln, indem es sich oft
zu diesem seinem Ursprünge zurückneigt« 1).
Schwer entscheiden läßt sich ferner die Frage, »ob die Fixierung
bestimmter sprachlicher Bezeichnungen ... die Folge einer ursprüng-
lich gegebenen Beschaffenheit der Empfindungen ist, oder durch mehr
zufällige Momente entwickelt, nun ihrerseits dazu beiträgt, gewissen
Empfindungen den Anschein von etwas physiologisch Ausgezeichnetem
zu verleihen«2). Höchst wahrscheinlich drückt sich in der Einfachheit
der alten und in der Zusammengesetztheit der neuen Farbennamen
nicht etwa der subjektive Empfindungscharakter der Farben: rot —
r) Materialien zur Geschichte der Farbenlehre, Berlin, Gustav Hempel, Bd. XXXVI,
S. 44 ff.
2) v. Kries, Die Gesichtsempfindungen, in Nagels Handbuch der Physiologie des
Menschen, Braunschweig 1905, III. Bd., S. 138.
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. IV.

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