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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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Geiger, Moritz: Zum Problem der Stimmungseinfühlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0006
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MORITZ GEIGER.

suchungen, die sich an ihn anschlössen, haben sich dieses Ziel ge-
steckt; und auch von denen, die sich um das besondere Wesen des
ästhetischen Genusses bemüht haben, ist wohl kaum einer vorüber-
gegangen an dieser allgemeineren Einfügung des Ästhetischen in die
psychologische Gesetzmäßigkeit.

Aber noch bescheidener kann man das Ziel wählen: man kann
versuchen, die Tatsachen des ästhetischen Erlebens einfach zu be-
schreiben; man wird sich dann vollkommen fernhalten von jeder ein-
heitlichen Theorie des Ästhetischen, aber ebenso auch von jeder Er-
klärung dessen, was man beschreibt — man wird darauf verzichten,
das Beschriebene kausal zu begreifen.

Nur diesen Weg will die vorliegende Untersuchung beschreiten;
sie will einen Beitrag liefern zur deskriptiven Psychologie des ästhe-
tischen Erlebens — die Theorie des ästhetischen Genusses liegt ihr
ebenso fern wie die Erklärung der beschriebenen Tatsachengruppen.
Ja, streng genommen, dürfte nicht einmal von der Deskription ästhe-
tischer Erlebnisse die Rede sein. Die Bezeichnung bestimmter Erleb-
nisse als »ästhetischer« schließt eine Wertung in sich, — einen An-
spruch der Erlebnisse, daß sie auch wirklich ästhetischer Natur seien.
Keine solche Wertung soll für die hier zur Diskussion stehenden Er-
lebnisse versucht werden. Es soll mit der Bezeichnung »ästhetisch«
einzig gesagt sein, daß diese Erlebnisse mitenthalten sind in Bewußt-
seinszuständen, die man gemeinhin zum ästhetischen Erleben rechnet.
Ob sie wirklich diesen Namen verdienen oder ob einige — vielleicht
gar alle — der unterästhetischen Sphäre angehören, das bleibe un-
untersucht.

Eine von denjenigen Tatsachengruppen, die die Einfühlungstheorie
unter großen einheitlichen Gesichtspunkten der Erklärung zu erfassen
sucht, soll hier einfach beschrieben und zergliedert werden: es soll
nur der deskriptive Unterbau dieser Theorie untersucht werden, ohne
daß wir die Ergebnisse für die Lösung weitertragender Probleme ver-
wenden wollen.

Es sind zwei verschiedene Tatsachengruppen, die als Fundamente
für den Beweisgang der Einfühlungstheorie Verwendung finden. Ein-
mal: wir finden in fremden menschlichen Körpern seelisches Leben
vor, sowohl in den Körpern der uns umgebenden Wirklichkeit, als
auch in den nur in Bildwerken dargestellten Körpern: wir glauben
seelisches Leben in diesen Körpern wahrzunehmen; wir sehen den
Menschen ihren Schmerz, ihre Lustigkeit, ihre Verzweiflung, ihre
Furcht an. — Daß solche Tatsachen existieren, ist unbestreitbar und
 
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