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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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Geiger, Moritz: Zum Problem der Stimmungseinfühlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0022
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Ig MORITZ GEIGER.

vom Range Wundts in dieser Frage seine Stellung prinzipiell ändern
konnte, vom Anhänger der Lehre von den Gefühlstönen zum Ver-
teidiger der Selbständigkeit der Gefühle werden konnte — in einer
Frage, bei der es sich doch nicht um logische Argumente und ihre
Überzeugungskraft handelt — wo ein Stellungswechsel durch Einsicht
in neue Gründe wohlbegreiflich wäre —, sondern um Fragen der Selbst-
beobachtung? Und ist es nicht merkwürdig, daß Stumpf mit disku-
tierbaren Gründen den Gefühlscharakter der sogenannten sinnlichen
Gefühle bestreiten konnte, wo doch die Annehmlichkeit des Ge-
schmacks mit der heiteren Stimmung mehr als eine Verwandtschaft
zeigt und doch die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß hier auch
eine innere Verwandtschaft besteht? Das Rätsel löst sich, wenn man
darauf achtet, daß die Anhänger der Gefühlstonlehre wie die der
Gefühlsempfindungen sowohl dem Gefühlscharakter als auch dem
objektiven Gefühlsbestandteil ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Sie
blicken vor allem auf die Lust an einfachen Empfindungen hin. Sie
sehen, daß es sich hier um objektive, der Empfindung angegliederte
Erlebnisse handelt, und ihre objektiv gerichtete Beobachtungsweise
übersieht leicht den subjektiven Gefühlsbestandteil, der, wenn er
auch zurücktritt, dennoch nicht ganz verschwunden ist. Bei den
Stimmungen dagegen läßt sich diese subjektive Seite nicht übersehen:
Zorn und Heiterkeit, Begeisterung und Liebe zeigen so ausgeprägte
subjektive Momente, daß man umgekehrt leicht übersieht, daß daneben
auch noch etwas am Gegenstand vorhanden ist, das zu diesen Erleb-
nissen gehört, — daß diese Erlebnisse die Gegenstände, auf die sie
sich beziehen, nicht unbeeinflußt lassen, sondern mit einem bestimmten
Glanz übergießen.

Wir wollen für diesen objektiven Gefühlsbestandteil den Ausdruck
Gefühlston beibehalten, wenn auch die Literatur im allgemeinen ge-
neigt ist, von Gefühlston nur bei Empfindungen zu sprechen. Aber
in gleichem Maße findet sich, wie wir sahen, der dominierende Anteil
der objektiven Gefühlsbestandteile auch bei Farbenkombinationen, nicht
nur bei einzelnen Farben und Geschmacksempfindungen, und auch in
den Fällen des anderen Typus — bei der heiteren Stimmung also —
wollen wir den objektiven Gefühlsbestandteil, den Schimmer über den
Dingen als Gefühlston bezeichnen.

Wenn wir fragen, in welchen Fällen der objektive Gefühlsbestand-
teil überwiegt, wie wir es bei Farbenkombinationen und Geschmacks-
empfindungen finden, so liegt die Vermutung nahe, die nicht mehr
als eine Vermutung sein soll — ich habe wenigstens keine Gegen-
instanz finden können —, daß es überall dort der Fall ist, wo das
Gefühl an sinnlich Wahrnehmbares anknüpft. Das wäre also überall
 
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