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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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Waser, Maria: Form und Stil in der bildenden Kunst und die ästhetische Lust
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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0090
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IV.

Form und Stil in der bildenden Kunst und
die ästhetische Lust.

Von

Maria Waser.

Mit Tafel I und fünf Abbildungen im Text.

Für die ästhetische Beurteilung eines Werkes bildender Kunst kann
die vom Inhalt unabhängige Form, die Darstellung allein in Betracht
kommen; die ausschlaggebende Bedeutung in der Darstellungsform
aber kommt der Kompositionslinie zu, der das Kunstwerk zu einer
Gesamtheit gestaltenden ideellen Form. Mit dieser ideellen Form sind
zwei Fragen gegeben, einmal die Hauptfrage: Was ist das Gemein-
same und also Gesetzmäßige in der Form aller großen Werke der
bildenden Kunst? Und dann die ebenfalls bedeutende Frage: Was ist
das Besondere in dieser Form beim einzelnen Künstler und beim ein-
zelnen Kunstwerk?

Die Beantwortung der ersten Frage würde nicht weniger bedeuten
als die Lösung des ästhetischen Grundproblems; denn die Gesetze
erkennen, die bei der Übertragung der Naturdinge in die Sprache der
Kunst wirken, denen wir das Vorhandensein einer solchen Form ver-
danken, heißt nichts anderes, als das ästhetische Grundgesetz er-
kennen, d. h. die Art und den Zweck unseres ästhetischen Bedürf-
nisses, das Wesen der ästhetischen Lust. Die Beantwortung der
zweiten Frage hingegen würde uns Aufschluß geben über den Zusam-
menhang zwischen dem Künstler und seinem Werke, über die Rolle,
die der künstlerischen Individualität im ästhetischen Genuß zukommt.

Besonders mit der ersten Frage hat sich die Ästhetik von jeher
beschäftigt. Sie hat für die Bildung der ideellen Form hauptsächlich
drei Gesetze herausgefunden, die man mit Ausdrücken aus unserem
mechanisch-dynamischen Wortschatz als Symmetrie, Gleichgewicht
und Rhythmus bezeichnete. Da man somit im Kunstwerk Gesetze
entdeckt zu haben glaubte, die auch für unsere eigene Leibnatur Gel-
tung haben, meinte man einen direkten Zusammenhang zwischen dem
Kunstwerk und unseren eigenen Lebensbedingungen zu sehen; man
stellte den Satz auf, daß der Mensch die Kunst nach seinem Bilde
 
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