Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0129
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BESPRECHUNGEN. 125

zeige geben. Deshalb müssen wir uns damit begnügen, die Hauptlinie der Ge-
dankenführung nachzuziehen.

Um die Eigenart der katholischen Kunst richtig kennen zu lernen, muß man,
so bemerkt der Verfasser im Anfang seiner Ausführungen, die Aufmerksamkeit auf
diejenigen Dogmen richten, in denen ein Gedanke von der Verbindung oder der
Berührung des höchsten Wesens mit der Sinnenwelt eingeschlossen liegt. Nach
der katholischen Auffassung wird die Gottheit für die Menschen gegenwärtig, ja
sogar anschaulich, in den Wundern, vor allem in zwei großen Mirakeln, nämlich
im Sakrament des Altars und in der Inkarnation Christi. Nach diesen zwei Grund-
dogmen zerfällt das ganze Werk in zwei Hauptteile. Der erste Teil behandelt die-
jenigen Kunsterscheinungen, die mit der Messe oder dem Sakrament des Altars in
Verbindung stehen, daraus abzuleiten und zu erklären sind. Diese Kunsterschei-
nungen gehören hauptsächlich zur Architektur, zum Kunstgewerbe und zur religiösen
Pantomime, demnach beschäftigt sich der erste Teil mit diesen Kunstgattungen. Im
zweiten Teil kommen diejenigen Kunsterscheinungen zur Behandlung, die mit der
Inkarnation und mit dem dadurch veranlaßten Madonnenkultus im Zusammenhang
stehen. Diese Kunsterscheinungen gehören wiederum in der Regel zur Skulptur,
Malerei und Poesie. In beiden Teilen zeigt der Verfasser, wie mir scheint, mit
voller Klarheit, daß seine Hypothese von dem heiligen Schrein als Urform der
katholischen Kunst stichhaltig ist nicht allein in bezug auf diejenigen Kunsterschei-
nungen, die mit dem Sakrament des Altars in Verbindung stehen — hier scheint
ja jene Hypothese schon von vornherein ziemlich annehmbar —, sondern auch den-
jenigen Kunsterscheinungen gegenüber, die sich dem Madonnenkultus anschließen
und aus ihm entspringen. Natürlich muß der »heilige Schrein« dann in einem
etwas erweiterten Sinne genommen werden, nämlich ganz allgemein als Hülle für
einen heiligen Inhalt. In einer sehr interessanten Ausführung (Kapitel 2) legt der
Verfasser zuerst dar, wie diese Schreinidee sich in der Entwicklung der Altarform
bestätigt. Die Gewohnheit der ersten Christen, das heilige Abendmahl bisweilen
auf den Gräbern ihrer verstorbenen Glaubensgenossen — besonders auf den Gräbern
der christlichen Märtyrer und anderer Heiligen — einzunehmen, veranlaßte eine
vielleicht im Anfang ganz zufällige, später allmählich stehend gewordene Gedanken-
verbindung zwischen dem Abendmahltisch und dem Grab eines Heiligen, und diese
Gedankenverbindung oder vielmehr das Streben, diese zwei Dinge miteinander zu
verbinden, wurde dann maßgebend in der Entwicklungsgeschichte des Altars. Noch
interessanter sind die zwei folgenden Kapitel, in denen der Verfasser die Anbetung
der Reliquien und die Entwicklungsgeschichte der Reliquarien behandelt. Die sind
fesselnd nicht allein in der Hinsicht, daß derselbe Schreingedanke sich auch hier be-
währt, sondern besonders wegen der lichtvollen und sehr wahrscheinlichen Art, in der
der Verfasser den Ursprung und die Entwicklung der Anbetung von Reliquien erklärt.
Er leitet nämlich die Anbetung der Reliquien von den der heidnischen Zauberei
und der Beschwörungskunst zugrunde liegenden Auffassungen ab. Die heidnischen
Zauberer waren der Meinung, daß die Kraft von den Zaubergegenständen durch
Ausstrahlung auf diejenigen Dinge übertragen wird, mit denen der ursprüngliche
Zaubergegenstand in Berührung kommt. Auch auf die von dem ursprünglichen
Zaubergegenstand gemachten Abbildungen findet eine Kraftübertragung von dem
Original statt. Also geschieht die Kraftübertragung auf zweifache Weise: entweder
durch Berührung oder durch Ähnlichkeit. Von diesen Gesichtspunkten aus wird
verständlich nicht allein der heidnische »Götzendienst«, sondern auch der Eifer, mit
dem die Katholiken Reliquien sammeln, sie ausstellen und anbeten. Dieselben von
dem heidnischen Aberglauben herrührenden Vorstellungen und Gedanken helfen
 
Annotationen