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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0146
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142 BESPRECHUNGEN.

nachfühlenden Hand, die sicher und doch mit zartester Rücksicht zuzugreifen, aus-
zuheben, einzufügen weiß, es bedarf des Dichters, der anzuhauchen und zum Leben
zu wecken vermag. In Wolters Übertragungen liegt viel von dieser belebenden
Kraft, und ich habe die Zuversicht, daß sie an ihrem Teile daran werden wirken
helfen, unserer Sprache von ihrem alten Reichtum zurückzugeben. Es ist seit hun-
dert Jahren die erste Anthologie von Minneliedern, die erscheint. Sie wendet sich
an einen weiteren Kreis von Gebildeten und Freunden der Dichtkunst. Ich möchte
ihr im besonderen wünschen, was einst Jakob Grimm dem Buche Tiecks und Wil-
helm Müller der eigenen Blumenlese gewünscht haben: daß Frauen sie gern zur
Hand nähmen. Dem inneren Charakter des Buches ist die schlichte Strenge und
klare Reinheit, die Melchior Lechler seiner äußeren Gestalt gegeben hat, schön an-
geglichen. — Wenn ich endlich auch für diese vor anderen ausgezeichneten Über-
tragungen den höchsten Beruf darin sehe, zu den Minneliedern selbst zurückzu-
führen, so weiß ich, daß ich damit im Sinne des Verfassers spreche.
Göttingen.

___________ Friedrich Kämmerer.

Fritz Burger, Die Villen des Andrea Palladio. Ein Beitrag zur Entwick-
lungsgeschichte der Renaissance-Architektur. Mit Unterstützung der könig-
lich bayrischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben. II, 152 S. und
48 Tafeln. 4°. Leipzig, Klinkhardt & Biermann, 1910.
Eine Zeitlang genoß Raffael zu allen seinen hohen Ehren noch die besondere
Auszeichnung, von einer in raffaelischen Hinsichten — das Wort kann ruhig mal
als Allgemeinbegriff genommen werden — vollständig ahnungslosen Malergene-
ration immer wieder als corpus vile behandelt zu werden. Jetzt scheinen manche
unserer jüngeren Architekten eine mutige Vorurteilslosigkeit zeigen zu wollen, indem
sie auf Palladio — gelinde gesagt — schelten. Sie mögen ja auch zum Teil recht,
d. h. ein Recht dazu haben, sofern sie eben selber nur in solcher Abwendung und
Ablehnung Dinge arbeiten können, die uns Freude machen, und das tun sie ja;
doch ihre Vorliebe für gewisse andere frühere Stile, die sie darum freilich nicht
etwa nachmachen, teilen wir nicht.

Da ist z. B. eine Frage, über die man sich besonders gern erhitzt, die Frage
der Symmetrie in der Baukunst. Man hört die Symmetrie gelegentlich verwerfen;
nicht bloß einschränken in ihrer Geltung und ihren Werten, nein verwerfen. Man
liebt auch an der früheren Architektur jetzt das Malerische, gelegentlich wohl selbst
das Impressionistische, ja auch das romantisch Winklige und zufällig Gewordene
vor allem das Individuelle. Palladio aber war »akademisch«. (Wie manche mögen
gegen die Akademien eifern, weil sie selbst noch kürzlich auf einer waren.) Pal-
ladio aber war akademisch, wohl, vor allem jedoch war er monumental. Mancher
von uns läßt sich nicht gern das bürgerliche Wohnhaus, z.B. das deutsche des
Mittelalters und der Renaissance, allzu anspruchsvoll rühmen, wenngleich so etwas
alltäglich gebraucht wird und somit künstlerische Werte mehr »ins Leben bringt«
als vieles andere; man kann dieses Wohnhaus nämlich heute gerade gegen Palladio
ausspielen hören; es ist ja sehr in Mode, die Ehrlichkeit dieses Bautyps zu lieben
und zu preisen, d. h. sein bereitwilliges, biederes Aufzeigen des nützlichen Zweckes,
seinen praktischen Sinn, z. B. in dem ganz unbefangenen Anbauen je nach später
eintretenden Bedürfnissen und unbekümmert um eine einfachere Harmonie des
Grundrisses; und weiter seine intime Gemütlichkeit, seine abgeschlossene Behag-
lichkeit, seinen Reichtum an dem, was man viel zu sehr beschränkend »Stimmung«
nennt, seine warme Enge und sonst noch mancherlei. Doch eine ausschließlich be-
 
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