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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0298
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292 BESPRECHUNGEN.

Kann man sich da wundern, daß er einen wahren Feuereifer entwickelt, Sprachkeck-
heiten, die Nietzsche selber begangen hat und die freilich oft noch mehr »Gedanken-
keckheiten« sind, zu kopieren und zu variieren? Nietzsche sagt einmal »über-
heizte« statt »überhitzte;:; folglich muß auch Eckertz Seite 191 es ihm nachsprechen.
Nietzsche entdeckt »ein Stück Süden der Musik«; folglich muß auch Eckertz den
»Anschlag eines leichten und heiteren Südens in der Musik« (S. 204) bemerken.
Wer kann sich gespreiztere Bildungen denken als die »für den Einbegriff des all-
gemeinen zu bedingungslos^ erscheinende Beobachtung (S. 53), die »geordneten An-
wärter des Christentums; Seite 155, »den volklosen Spätling« Seite 1 und die »volk-
lose Spätheit in Nietzsche« Seite 197, den »ebenso verblüffenden wie gültigen Scherz«
Seite 170 oder Seite 199 die Nietzsche durch Wagners »Beethoven« »zugespiegelte«
romantische »Vorliebe für das Erlösungsbedürfnis und die Musikästhetik Schopen-
hauers«? Die Kunst des Verfassers, unlogische Konstruktionen zu drechseln, setzt oft
wirklich in Erstaunen. Schon der zweite Satz des Buches enthält einen solchen Ver-
stoß gegen die Logik, da man das »Pfund« wohl nicht »in« der »Persönlichkeit«
Nietzsches, »seiner Herkunft und seinen geistigen Nachbarschaften«, sondern nur in
dem Studium, der Ermittlung, Erforschung, Ergründung dieser Dinge »anlegen« dürfte,
und dieser befremdlichen Redefigur entspricht genau Seite 67 »die wuchtige Knapp-
heit des Demosthenes, den« — wohlgemerkt: »den«, nicht »die«! — »Nietzsche
einmal an Stelle des lateinischen Stiles auszubilden empfiehlt«. Indessen hat aller-
dings der Verfasser auch hier Nietzsches eigenes Muster vor Augen. Wird es diesem
»schwer«, sich »von einer Gegend zu überzeugen« — gemeint ist der landwirt-
schaftliche Reiz —, dann muß man füglich die eben angeführten Wendungen als
geistreiche, den banalen Ton meidende Metaphern hingehen lassen. Mit den ge-
ringsten Mitteln bewirkt Eckertz oft die Verhunzung des Ausdrucks. Er greift bloß
zur reflexiven Form, wo sie nicht am Platze ist, und läßt das Reflexivpronomen
dort, wo es hingehört, weg — dem schon früher, in der Sachbesprechung zitierten
»sich verschmelzen« stehen Seite 198 »seine in der Antike tummelnden philologischen
Fähigkeiten« zur Seite — oder er entfernt das im gegebenen Falle unbedingt er-
forderte Präfix, wandelt, wie auf Seite 206, »verbinden«, »zusammenbinden« in
»binden« um; ja, er bringt es fertig, durch Streichung eines einzigen Wörtchens
einem sonst ganz gut und vernünftig klingenden Satze ein so verdrehtes und ver-
tracktes Aussehen zu geben, daß man seine liebe Not hat, den Sinn zu enträtseln.
Man interpoliere in dem mysteriösen Ungetüm: »In Wirklichkeit hat der mit den
feinsten Reizen der Dekadenzromantik durchsetzte sächsische Pfarrerssohn jenen
Dionysos nur mit eigenem Leben erfüllt und mit dem Urbilde wenig gemein« nach
dem »und« ein nochmaliges »hat«, und alles Gezwungene, Unverständliche, Preziös-
Tiefsinnige ist mit einem Schlage verschwunden. Umgekehrt zeigt sich auch in
Einschaltungen die Virtuosität des Verfassers, der Folgerichtigkeit und logischen Schärfe
ein Schnippchen zu schlagen. So heißt es Seite 233: »Aber er zweifelt mit Recht,
wenn auch zu ausschließlich, daran, ,daß jemand heute imstande ist, Zarathustras
Gesamtton klingen zu hören'«, wo angesichts des Wortlautes, in den Nietzsche seine
Meinung kleidet, das »mit Recht« offenbar durch das »zu ausschließlich« Lügen ge-
straft wird. Daß aber in alledem Methode, bewußte Absicht, wohl überlegte Sprach-
und Verstandeswidrigkeit liegt, daß man schweres Unrecht täte, dem Verfasser die
Fähigkeit richtigen Denkens abzusprechen, daß er einfach — »modern« ist, dies wird
durch eine einzige Pracht- und Glanzstelle wie die auf Seite 135 offenbar: »hier ist
der Thüringer Wald mit der Sonne Italiens in den Widerspruch gefaßt, welcher
dem deutschen Grundwesen und der südlichen Überstrahlung Nietzsches durchaus
entspricht«. Aus Theater-, aus Kunstkritiken und anderen Zeitungsartikeln — von
 
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