294 BESPRECHUNGEN.
zwingt den Verfasser zu »Verschiebungen« und »Aufdeckungen«;, die der Jensen-
schen Jagd auf Gilgamesch würdig wären. »Der König im Traum bedeutet fast
immer ,der Vater'« — dieser schöne Satz (dem der französische würdig zur Seite
steht: da vie est beau S. 37) wird mit mythendeutender Sicherheit (S. 54) ausge-
sprochen; etwa wie auch »in den orientalischen Märchen heißt ,Rustan' gewöhn-
lich der Henker« (S. 56 Anm.). Wenn Rustan sich hinter einem Vorhang versteckt,
so symbolisiert das (S. 58 Anm.) die Schamhaftigkeit des Herzens. Wenn Grill-
parzer gegen den Namen, über den Byron und Schlegel scherzten, eine begreifliche
Abneigung hegte, bedeutet das — Haß gegen den Vater! (S. 31). Wie denn über-
haupt die unfreiwilligen Namenscherze bei Stekel wie bei den verunglückten Mytho-
logen eine Glanzleistung ausmachen. »Man merke den Gleichklang der Vokale:
Ismae\ und GnllparzCT« (S. 53 Anm.); »Kaleb dürfte aus ,Ka' (im wienerischen Dia-
lekt so viel als ,kein') und ,Leben' zusammengesetzt sein« (S. 57 Anm.; vgl. auch
z. B. S. 32 über Mirza, S. 60 Anm.). Den Gipfel aber erreicht diese krypterotische
Symbolik doch, wenn die höchst einfachen Verse
Arme Schützen! Ha, ha, ha!
Lernt erst treffen! Arme Schützen!
auf — Impotenz gedeutet werden (S. 59). Diese Symbolik gibt denn auch den
historischen letzten Worten Andreas Hofers einen ungeahnt pikanten Hintergrund.
Dieser Mangel an der allergeringsten Selbstkritik durchzieht das ganze Buch.
Bei Übereinstimmungen, wie er sie (S. 55) zwischen Rustans Versprechen und Grill-
parzers Geburtstagsbriefen kühnlich behauptet, kann man nur seine eigenen Worte
zitieren: »Dergleichen Ähnlichkeiten spielen in Träumen eine große Rolle« (S. 52
Anm.). Ist der Verfasser wirklich »wach«, wenn die Frage an Mirza:
Schon vom Lager, schon gekleidet?
ihn an die — Einkleidung einer Nonne (S. 65) erinnert? Deutet die monotone
Wiederholung »Es ist als ob« — »es ist als ob« — »es ist als ob« (S. 60 f.) nicht
vielleicht auf verdrängtes Wachsein?
Man möchte mit dem Verfasser (S. 73) angesichts dieser monomanischen Studie
von der »Tragödie des Forschers« reden, wenn der tiefe Sturz durch den Dünkel,
mit dem psychiatrische Weisheit heute auf alle unpathologische Interpretation herab-
blickt, nicht mehr als verdient wäre!
Ich weiß wohl: wie in Preußen die Anschauung herrscht, ein Beamter könne
seine Befugnisse eigentlich gar nicht überschreiten, so haben Möbius, Sommer,
Freud der Ansicht zum Ziel verholten, ein Psychiater könne nichts Dilettantisches
schreiben. Jeder Übergriff in ihm unbekannte Regionen ist lediglich »mit Dank zu
begrüßen«. Und innerhalb seiner Deduktionen selbst ist jede Oberflächlichkeit er-
laubt. Grillparzer sagt:
Unsre Neigungen, Gedanken,
Scheinen gleich sie ohne Schranken,
Gehn doch, wie die Rinderherde,
Eines in des andern Tritt.
Stekel merkt an (S. 50 Anm.): »Prägnanter kann man die Lehre von Asso-
ziationen kaum in einem poetischen Bilde ausdrücken«. Also: unsere Vorstellungen
sind zwangsläufig; das bisher ungeregelte Spiel der Assoziationen löst sich in
streng geordnete Ketten auf! .. . Aber denken wir denn wirklich alle in der Manier
des Verfassers, bei dem auf jeden Dichtervers die Zwangsvorstellungen: Neurose
— erotische Verdrängung — grobe Umdeutung unausweichlich folgen?
Berlin.
Richard M. Meyer.
zwingt den Verfasser zu »Verschiebungen« und »Aufdeckungen«;, die der Jensen-
schen Jagd auf Gilgamesch würdig wären. »Der König im Traum bedeutet fast
immer ,der Vater'« — dieser schöne Satz (dem der französische würdig zur Seite
steht: da vie est beau S. 37) wird mit mythendeutender Sicherheit (S. 54) ausge-
sprochen; etwa wie auch »in den orientalischen Märchen heißt ,Rustan' gewöhn-
lich der Henker« (S. 56 Anm.). Wenn Rustan sich hinter einem Vorhang versteckt,
so symbolisiert das (S. 58 Anm.) die Schamhaftigkeit des Herzens. Wenn Grill-
parzer gegen den Namen, über den Byron und Schlegel scherzten, eine begreifliche
Abneigung hegte, bedeutet das — Haß gegen den Vater! (S. 31). Wie denn über-
haupt die unfreiwilligen Namenscherze bei Stekel wie bei den verunglückten Mytho-
logen eine Glanzleistung ausmachen. »Man merke den Gleichklang der Vokale:
Ismae\ und GnllparzCT« (S. 53 Anm.); »Kaleb dürfte aus ,Ka' (im wienerischen Dia-
lekt so viel als ,kein') und ,Leben' zusammengesetzt sein« (S. 57 Anm.; vgl. auch
z. B. S. 32 über Mirza, S. 60 Anm.). Den Gipfel aber erreicht diese krypterotische
Symbolik doch, wenn die höchst einfachen Verse
Arme Schützen! Ha, ha, ha!
Lernt erst treffen! Arme Schützen!
auf — Impotenz gedeutet werden (S. 59). Diese Symbolik gibt denn auch den
historischen letzten Worten Andreas Hofers einen ungeahnt pikanten Hintergrund.
Dieser Mangel an der allergeringsten Selbstkritik durchzieht das ganze Buch.
Bei Übereinstimmungen, wie er sie (S. 55) zwischen Rustans Versprechen und Grill-
parzers Geburtstagsbriefen kühnlich behauptet, kann man nur seine eigenen Worte
zitieren: »Dergleichen Ähnlichkeiten spielen in Träumen eine große Rolle« (S. 52
Anm.). Ist der Verfasser wirklich »wach«, wenn die Frage an Mirza:
Schon vom Lager, schon gekleidet?
ihn an die — Einkleidung einer Nonne (S. 65) erinnert? Deutet die monotone
Wiederholung »Es ist als ob« — »es ist als ob« — »es ist als ob« (S. 60 f.) nicht
vielleicht auf verdrängtes Wachsein?
Man möchte mit dem Verfasser (S. 73) angesichts dieser monomanischen Studie
von der »Tragödie des Forschers« reden, wenn der tiefe Sturz durch den Dünkel,
mit dem psychiatrische Weisheit heute auf alle unpathologische Interpretation herab-
blickt, nicht mehr als verdient wäre!
Ich weiß wohl: wie in Preußen die Anschauung herrscht, ein Beamter könne
seine Befugnisse eigentlich gar nicht überschreiten, so haben Möbius, Sommer,
Freud der Ansicht zum Ziel verholten, ein Psychiater könne nichts Dilettantisches
schreiben. Jeder Übergriff in ihm unbekannte Regionen ist lediglich »mit Dank zu
begrüßen«. Und innerhalb seiner Deduktionen selbst ist jede Oberflächlichkeit er-
laubt. Grillparzer sagt:
Unsre Neigungen, Gedanken,
Scheinen gleich sie ohne Schranken,
Gehn doch, wie die Rinderherde,
Eines in des andern Tritt.
Stekel merkt an (S. 50 Anm.): »Prägnanter kann man die Lehre von Asso-
ziationen kaum in einem poetischen Bilde ausdrücken«. Also: unsere Vorstellungen
sind zwangsläufig; das bisher ungeregelte Spiel der Assoziationen löst sich in
streng geordnete Ketten auf! .. . Aber denken wir denn wirklich alle in der Manier
des Verfassers, bei dem auf jeden Dichtervers die Zwangsvorstellungen: Neurose
— erotische Verdrängung — grobe Umdeutung unausweichlich folgen?
Berlin.
Richard M. Meyer.