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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0310
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304 BESPRECHUNGEN.

sächlicher Indizien fixiert werden. Die dazu nötige Entdeckerphantasie steht Kurth
in hohem Maße zu Gebote und bewährt sich meist glänzend. Daß bei solcher Art
des Arbeitens mancher recht gewagte Schluß mit unterläuft, kann nicht ausbleiben.
Doch wenn, wie es von Kurth stets geschieht, sämtliche Glieder des Syllogismus
vorgelegt werden, so ist auch ein unsicheres Resultat von Nutzen, weil es zu weiteren
Forschungen anregt.

Kurth kann uns weder Geburts- noch Todesjahr Sharakus angeben, doch stellt
er eine Chronologie seiner Arbeiten auf, die große innere Wahrscheinlichkeit für
sich hat. Danach sind seine ersten Blätter um 1787 erschienen, die nur mit
»Sharaku« gezeichnet sind. Ebenso signiert sind zwölf »Hosoye«-(Schmalbilder-)
Serien, die in die nächsten Jahre fallen und sich zu einer Entwicklungsreihe grup-
pieren lassen. Den Schluß dieser Reihe bilden die ersten Versuche großer Porträt-
köpfe auf Gelbgrund und das 1790 datierte Bildnis des Ringerknaben Daidoyama
Bungoro.

Mit den im selben Jahre erscheinenden ersten Bildern auf Glimmergrund nimmt
der Künstler das Signet »Toshusai Sharaku« an, das er bis zu seinem Sturze beibehält.

Um 1793 bis 1794 entstand die berühmte und weitbekannte Folge von vierund-
zwanzig Porträtköpfen auf dunklem Glimmergrunde, die nach Kurth höchst wahr-
scheinlich die Schauspieler in einer dramatischen Geschichte der siebenundvierzig
Ronin (Chüshingura) darstellt, im reifsten Stile des Künstlers. Frühestens 1795
setzt Kurth dann die seltene Folge von je zwei Brustbildern auf opaksilbernem
Glimmergrunde an, die letzten vom Künstler mit seinem Namen gezeichneten
Blätter.

Eine Vermutung Barbouteaus durch scharfsinnige Gründe nahezu zur Gewißheit
erhebend teilt schließlich Kurth dem Sharaku die wenigen bekannten »Kabukidö«
oder »Kabukidö Yenkyö« gezeichneten Blätter von eigener Schönheit zu, die sozu-
sagen sein Schwanengesang sind.

Sharakus sämtliche Arbeiten, mit Ausnahme des Bildnisses des Ringerknaben,
stellen Schauspieler dar. Die Folgen bis 1790 weichen im Äußeren nicht wesentlich
von den bekannten Schmalbildern Shunshos und seiner Schüler ab. Es gehört schon
ein geübteres Auge dazu, um die größere Genialität Sharakus voll zu würdigen.
Doch nun nimmt allmählich die »Schärfe« (im engeren Sinne des Wortes) der
Charakterisierung zu. Man glaubt mit Kurth zu bemerken, daß der Künstler, der
als früherer No-Tänzer weit über dem verachteten gewöhnlichen Schauspieler stand,
seinen Modellen mit wachsender Ironie gegenübertritt, sie mehr und mehr bewußt
karikiert. Der großen Chüshinguraserie gibt dies eine ganz besonders reizvolle
Note, wie sie denn auch in ihrer wundervollen Färbung und rücksichtslos frei, aber
wirksam behandelten Form das eminente Künstlertum unseres Malers ins hellste
Licht stellt. Um diese Serie und besonders um die folgende (die ich übrigens nicht
so ausgesprochen »teuflisch« finde, wie unser Autor) scheint nun ein heftiger Kampf
zwischen denen, welche die sich vor ihren Augen entwickelnden Künstlerqualitäten
zu bewundern imstande waren, und den durch die Karikierung gekränkten Schau-
spielern samt ihrem Anhange ausgebrochen zu sein, bei dem die letzteren äußer-
lich wenigstens Sieger blieben. Sharaku ist wohl aus den bevorzugten Plätzen der
Schauspielhäuser vertrieben worden und hat dann wahrscheinlich »vom Olymp
herab« nahezu aus der Vogelperspektive um sich zu rehabilitieren jene seltsam
schwermütigen Bildnisse gezeichnet, die den Namen Kabukidö Yenkyö tragen. Bald
darauf, etwa um 1797, hat er dann den Pinsel für immer niedergelegt. Wann er
gestorben ist, weiß man nicht.

Ist es schon ein großes Verdienst, mittels eines scharfsinnigen Indizienbeweises
 
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