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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0322
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316 BESPRECHUNGEN.

Romantik ist eine ganz spezielle Form dessen, was man noch sonst Romantik nennen
mag. Wie jede Romantik ist sie weniger von einem klaren Endziel geleitet, sondern
geht auf Abenteuer aus, aber es ist nicht das abenteuerliche, unerhörte Geschehen,
sondern das seltene, niedagewesene Gefühl. Und diese neue Richtung schafft sich
nun auch ganz neue Weisen der Kunstvermischung. So kommt zunächst die
moderne Wortmalerei zustande, die durch die Dichtung und die Sprache solche
Wirkungen zu erzielen strebt, wie sie Musik und Malerei erreichen. Eine andere
Folge der romantischen Strömung ist die Programmmusik, die im 19. Jahrhundert
eine außerordentliche Ausbildung erlebt hat, wenn sie auch keineswegs etwas ganz
Neues war, da die Musik zu allen Zeiten sich suggestiver Wirkungen bedient hat.
Besonders werden dann noch die Erscheinungen des =Farb enhörens« besprochen,
die ebenfalls in der modernen Kunst sich so zahlreich finden.

In seinem Schlußkapitel nimmt der Autor schließlich persönlich Stellung zu
den von ihm zunächst mehr historisch dargestellten Dingen. Er erkennt die Be-
deutung des neuklassizistischen Humanismus in seinem Streben nach Konzentration,
nach Einheit und Maß, die dieser leider zu einem Formalismus erstarren ließ. Die
Modernen warfen nun mit dem Formalismus auch jede Form über Bord und ge-
rieten so in einen übertriebenen Naturalismus hinein. Entschieden nimmt Babitt Stel-
lung gegen die einseitige Ausdruckstheorie, und er erhofft für die Kunst wieder
eine strengere Form und eine reinlichere Scheidung der Gattungen, so im großen
und ganzen nach einem klassischen Standpunkt zurückstrebend. —

Das etwa wäre dasjenige aus dem reichen Inhalt dieses Buches, was mir das
Wichtigste erscheint. Ohne Zweifel haben wir es hier mit einer Leistung zu tun,
die nicht nur eine respektable Gelehrsamkeit, sondern auch eigne und selbständige
Gedanken in Fülle aufweist. Auch dort, wo man nicht unbedingt überzeugt wird,
muß man doch überall die durchdachte und persönliche Stellungnahme des Autors
anerkennen. Nur in einigen Punkten möchte ich eine andere Position einnehmen.
Mir scheint im allgemeinen, daß Babitt allzu großen Nachdruck auf die Theorien
legt. Wir haben es in der Vermengung der Gattungen mit einer Erscheinung zu
tun, die, wenn auch in verschiedener Form, immer wiederkehrt und weder durch
Theorien geschaffen noch weggeräumt werden kann. Sie scheint mir begründet
in einer allgemein menschlichen psychologischen Erscheinung, der Verschiedenheit
der Phantasie in den einzelnen Menschen. So haben wir, um bei der Poesie zu
bleiben, die beiden Typen der Wortdenker und der Sachdenker, die beide von
der Dichtung Anregung ihrer Phantasie heischen. Gewiß bin auch ich der Ansicht,
wie es neuerdings wieder Dessoir, Roetteken und andere klar betont haben, daß es
nicht Aufgabe der Dichtkunst sei, eine bildhafte Anschauung im Leser zu erwecken.
Trotzdem gibt es offenbar viele Individuen, die sogenannten Sachdenker, die gemäß
ihrem Phantasietypus eine solche visuelle Anregung ihrer Phantasie vom Dichter
verlangen. Und die Geschichte beweist, daß es zu allen Zeiten, auch dort, wo
sicherlich keine theoretische Beeinflussung stattgefunden hat, Dichter gab, die —
offenbar selbst derartige Sachdenker — mit den Worten möglichst konkrete An-
schauung zu erzielen suchten und sich an einer möglichst malerischen Phantasie-
wirkung ergötzten, während dem eigentlichen Wortkünstler solche Wirkungen
nur Nebensache sind. So haben wir in der Blütezeit des deutschen Mittelalters
ganz deutlich bereits solche malerischen Dichter (z. B. Blikker v. Steinach und viele
andere). Auch kommen später in der Verfallszeit, z. B. bei Rudolf v. Ems Wir-
kungen genug vor, die an gewisse »musikalische« Spielereien der romantischen
Dichter stark erinnern. Ich möchte also die Erscheinungen nicht in so bestimmtem
historischen Abhängigkeitsverhältnis sehen wie Babitt, sondern mehr
 
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