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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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Sauerbeck, Ernst: Ästhetische Perspektive, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0458
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452 ERNST SAUERBECK.

vorzugsweise aber bei der Darstellung von Innenräumen und hier
wieder vor allem eben beim Eckbild; ja, daß in einem und demselben
Bild — bei Meistern selbst wie Rubens (siehe den zweiten Teil) — die
Figuren und sonstigen nicht architektonischen Elemente normal, die
Architektur aber exzentrisch gesehen sind. Ich war bei der Durch-
sicht von Tausenden von Bildern geradezu verblüfft, wie selten man
die Schrägecke, wie außerordentlich häufig und liebevoll behandelt
man aber die Gradecke findet. Ich selbst empfinde das Beruhigende
der Gradecke auch recht stark x).

Freilich, wer für die Exzentrizität des Augpunktes das Organ hat
— es muß wirklich etwas wie ein Organ im Spiele sein, denn ich
selbst bin auf sie zunächst durch eine starke, mir vorerst ganz unver-
ständliche Sensation aufmerksam geworden — wer, sage ich, für die
Exzentrizität als solche, d. h. für die exzentrische Lage des Augpunktes
ein Organ hat, geht freilich der beruhigenden Wirkung der Front-
stellung zum Teil wieder verlustig; denn das Gefühl — gleichfalls eine
Sensation — der Abdrängung von der Bildmitte, die der Beschauer zu-
nächst unwillkürlich einzunehmen sucht, ist mit dem Gegenteil von
Beruhigung verknüpft, wenigstens bei mir.

Das horizontal exzentrische Bild ruft somit nicht nur einen ziem-
lich komplizierten, sondern auch einen in sich etwas zwiespältigen
Seelenzustand hervor; man könnte so wohl dazu kommen, es als Aus-
druck eines gewissen Raffinements anzusehen.

Die Geschichte gibt einer solchen Auffassung nicht recht; denn,
wie schon angedeutet: es kommt diese Art Bild so ziemlich zu allen
Zeiten vor; am stärksten schien sie mir zugunsten der Schrägecke in
einer Zeit zurückzutreten, die dank der langen Tradition auf Raffine-

') Ich begnüge mich in diesem ersten Teil mit der Wiedergabe dieser einen
Auffassung von Wesen und Bedeutung der horizontalen Exzentrizität. Es ist die,
die ich mir rein aus der Sache heraus gebildet habe. Es gibt aber eine andere in
der Literatur. Ich habe sie erst nachträglich, als die Niederschrift dieses Teiles
fertig vorlag, kennen gelernt, nach vielen vergeblichen Bemühungen, Freunde oder
Gegner meiner Anschauungen zu finden. Der dritte Teil ist der Darstellung und
Kritik dieser anderen Auffassung gewidmet; es setzt nämlich die Kritik dieser Auf-
fassung die eingehende historische Orientierung voraus, die dem zweiten Teil, um
den ersten zu entlasten, vorbehalten blieb.

Hier sei — ausschließlich für Leser mit tiefergehendem Interesse am Gegen-
stand — nur eine Bemerkung angebracht, die nicht den Gegenstand des dritten
Teils betrifft, aber durch einen der beiden dort besprochenen Autoren veranlaßt ist,
eine Bemerkung didaktischer Art, betreffend die beste Art, das Wesen der horizon-
talen Exzentrizität klar zu machen. Der bewußte Autor rückt nämlich an Stelle des
Rahmenprinzips, von dem wir ausgegangen sind, das Prinzip der Bildebenenstellung'
in den Vordergrund. Ich muß dem Leser die Entscheidung für die eine oder andere
Methode überlassen.
 
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