500 JOHANNES VOLKELT.
erstreckung in eine zu der flächenhaften Darstellung hinzu-gesehene
Tiefenerstreckung umsetzt. Aber auch die Farben werden vom Maler
nicht einfach wiedergegeben. Das Erzeugen farbiger Wirkungen be-
deutet ein Umsetzen der Naturfarben-Unterschiede in eine bei aller
Ähnlichkeit doch verschiedene Farbenstufenleiter. Noch viel weiter
geht diese Farbenumformung in den Griffelkünsten. Und auch das
Absehen des Malers von allen tönenden Äußerungen der sichtbaren
Gegenstände darf nicht vergessen werden. Was sodann die Dicht-
kunst angeht, so gilt es auf den gewaltigen Abstand der wirklichen
Dinge von den Phantasiebildern zu achten. Sich diesen Abstand ver-
gegenwärtigen, heißt zugleich: einsehen, welch geradezu ungeheure
Umformung der Künstler vornimmt, wenn er Gestalten und Vorgänge
dadurch schildert, daß er die Leser an bestimmte Worte bestimmte
Phantasieanschauungen knüpfen läßtx).
Will man der Nachahmungstheorie, die hiermit schon als genug
und übergenug widerlegt erscheint, noch durch weitere Gegengründe
zu Leibe gehen, so kann man auf die Ton- und Baukunst und das
Kunstgewerbe hinweisen. Man gerät in die läppischesten und abge-
schmacktesten Annahmen, wenn man Ernst damit macht, die Ton-
gespinste der Musiker und die Liniensysteme der Baukünstler und
Kunstgewerbler als Nachahmungen von Naturgebilden ansehen zu
wollen. Und auf dem Gebiet der lyrischen Dichtung würde es einem
ähnlichen Versuch nicht besser ergehen. Schon Johann Adolf Schlegel
hat die Lyrik (und daneben das Lehrgedicht) als entscheidenden Ein-
wurf gegen Batteux geltend gemacht2).
Auch müßte der Vertreter der Nachahmungstheorie folgerichtiger-
weise die Individualität des Künstlers ausschalten. Von allem anderen
abgesehen ist es schon eine psychologische Unmöglichkeit, daß das
künstlerische Schaffen rein sachlich, völlig unpersönlich vor sich gehen
solle. Soll es überhaupt ein künstlerisches Schaffen geben, so muß
es durch und durch individuell getränkt und gefärbt sein. Auch diese
beiden Gesichtspunkte finden sich in den Ästhetischen Zeitfragen her-
vorgehoben 3).
Es ist um so weniger nötig, die Widerlegung der Nachahmungs-
theorie ins Feinere zu verfolgen, als von den Ästhetikern schon überaus
häufig diese Theorie einer vernichtenden Kritik unterzogen wurde. So
beschäftigen sich beispielsweise August Wilhelm Schlegel in den Vor-
') Ästhetische Zeitfragen. München 1895, S. 49—54.
2) Friedrich Braitmaier, Geschichte der poetischen Theorie und Kritik, Bd. 1,
S. 301 f. Manfred Schenker, Charles Batteux und seine Nachahmungstheorie in
Deutschland, S. 94 f.
') Ästhetische Zeitfragen, S. 59 ff. und S. 73 f.
erstreckung in eine zu der flächenhaften Darstellung hinzu-gesehene
Tiefenerstreckung umsetzt. Aber auch die Farben werden vom Maler
nicht einfach wiedergegeben. Das Erzeugen farbiger Wirkungen be-
deutet ein Umsetzen der Naturfarben-Unterschiede in eine bei aller
Ähnlichkeit doch verschiedene Farbenstufenleiter. Noch viel weiter
geht diese Farbenumformung in den Griffelkünsten. Und auch das
Absehen des Malers von allen tönenden Äußerungen der sichtbaren
Gegenstände darf nicht vergessen werden. Was sodann die Dicht-
kunst angeht, so gilt es auf den gewaltigen Abstand der wirklichen
Dinge von den Phantasiebildern zu achten. Sich diesen Abstand ver-
gegenwärtigen, heißt zugleich: einsehen, welch geradezu ungeheure
Umformung der Künstler vornimmt, wenn er Gestalten und Vorgänge
dadurch schildert, daß er die Leser an bestimmte Worte bestimmte
Phantasieanschauungen knüpfen läßtx).
Will man der Nachahmungstheorie, die hiermit schon als genug
und übergenug widerlegt erscheint, noch durch weitere Gegengründe
zu Leibe gehen, so kann man auf die Ton- und Baukunst und das
Kunstgewerbe hinweisen. Man gerät in die läppischesten und abge-
schmacktesten Annahmen, wenn man Ernst damit macht, die Ton-
gespinste der Musiker und die Liniensysteme der Baukünstler und
Kunstgewerbler als Nachahmungen von Naturgebilden ansehen zu
wollen. Und auf dem Gebiet der lyrischen Dichtung würde es einem
ähnlichen Versuch nicht besser ergehen. Schon Johann Adolf Schlegel
hat die Lyrik (und daneben das Lehrgedicht) als entscheidenden Ein-
wurf gegen Batteux geltend gemacht2).
Auch müßte der Vertreter der Nachahmungstheorie folgerichtiger-
weise die Individualität des Künstlers ausschalten. Von allem anderen
abgesehen ist es schon eine psychologische Unmöglichkeit, daß das
künstlerische Schaffen rein sachlich, völlig unpersönlich vor sich gehen
solle. Soll es überhaupt ein künstlerisches Schaffen geben, so muß
es durch und durch individuell getränkt und gefärbt sein. Auch diese
beiden Gesichtspunkte finden sich in den Ästhetischen Zeitfragen her-
vorgehoben 3).
Es ist um so weniger nötig, die Widerlegung der Nachahmungs-
theorie ins Feinere zu verfolgen, als von den Ästhetikern schon überaus
häufig diese Theorie einer vernichtenden Kritik unterzogen wurde. So
beschäftigen sich beispielsweise August Wilhelm Schlegel in den Vor-
') Ästhetische Zeitfragen. München 1895, S. 49—54.
2) Friedrich Braitmaier, Geschichte der poetischen Theorie und Kritik, Bd. 1,
S. 301 f. Manfred Schenker, Charles Batteux und seine Nachahmungstheorie in
Deutschland, S. 94 f.
') Ästhetische Zeitfragen, S. 59 ff. und S. 73 f.