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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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Mayer, Adolf: Naturwissenschaftliche Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0628
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BEMERKUNGEN. 515

deduzierten Sätzen von ebenso imponierendem Klang als wenig greifbarem Inhalt,
sondern induzierend von dem einzelnen konkreten Falle zu ergründen versucht, und
habe ganz abweichend von den bestehenden Theorien die Geschicklichkeit im
Aufdecken eines sorgfältig Verhehlten als das Wesen dieser künstlerischen
Tätigkeit gefunden. Ich habe mich an die Elemente der bildenden Kunst gewagt
und meine, als Grund der Farbenharmonie neben dem Vermeiden des rein physi-
kalisch Blendenden oder Irritierenden im wesentlichen die Erfahrung an unserer
organisierten Umgebung namhaft machen zu müssen1). Auch einige Pro-
bleme der höheren Ästhetik der bildenden Künste haben mich beschäftigt. So die
Ursache der vorwiegenden Bedeutung der Landschaftsmalerei in der modernen
Zeit2). Auch hier komme ich zu einem gemischten Resultate.

Ein Essay: Goethe und Helmholtz ist einer Grenzbestimmung zwischen Kunst
und Wissenschaft überhaupt gewidmet3). Dann habe ich andere Probleme der
bildenden Künste auf die nämliche Weise untersucht, z. B. warum die Moment-
photographie ein schlechter Berater der wahren Kunst *) ist, warum Selbstporträts
notwendig in die Ferne starren5), während gewöhnliche Porträte den Betrachter
mit dem Blicke zu verfolgen scheinen, warum Einäugigkeit für den Maler ein Vor-
teil ist0), und andere mehr. Auch über das Wesen der Kunst komme ich von
meinem Standpunkte aus zu Resultaten, die mir beachtenswert erscheinen7).

Mithin sind allerlei neue Gesichtspunkte gewonnen, freilich mehr für die Grund-
lagen der Ästhetik, als für ihren weiteren Ausbau. An Fragen wie das Stilisieren
in der Kunst und dergleichen kann man natürlich nur mit gründlichen historischen
und technischen Kenntnissen herantreten. Es scheint mir aber, daß diese höhere
Ästhetik bis dahin überhaupt eine wenig fruchtbare Wissenschaft gewesen ist, allen-
falls geeignet, die Genießenden zu orientieren und ihnen die Auswahl desjenigen,
was etwa für sie in Betracht kommt, zu erleichtern, aber kaum jemals imstande,
den Künstlern selbst den Weg zu weisen. Diese haben noch immer den Weg ge-
funden ohne die Kunstwissenschaft und selbst im Gegensatz zu ihren bis dahin
gewonnenen Regeln, ganz ähnlich wie auch die Naturwissenschaft bisher unbe-
kümmert um Philosophie ihren Weg gegangen ist. Der Kernpunkt der Ästhetik
liegt bisher in der Kunstgeschichte.

Gern erkenne ich an, daß die moderne Ästhetik, wie sie namentlich in dieser
Zeitschrift vertreten ist, schon allerlei erreicht hat, das in der Richtung liegt, die
hier angedeutet wurde. Ihre Vertreter sind eben welterfahrener geworden als die
Vertreter der alten philosophischen Ästhetik. Doch will es mich bedünken, als ob
die Reaktion gegen deren Unwesen noch immer nicht tief genug ginge. Und dabei
ist die Gefahr groß, daß sie noch weiter an Kraft verliert, weil die Überwindung
des Naturalismus in der Kunst von jener Seite leicht mit einer Überwindung des
naturwissenschaftlichen Geistes verwechselt wird, obwohl beide Dinge, wie sich
gerade aus meinen Untersuchungen ergeben dürfte, ganz und gar nichts mitein-
ander zu tun haben.

') Preuß. Jahrb. 1909, 138, S. 460.

2) Neue Heidelb. Jahrb. 1910, S. 182.

») Preuß. Jahrb. 1908, 133, S. 191.

') Preuß. Jahrb. 1910, 140, S. 498.

') Preuß. Jahrb. 1910, S. 506.

e) Preuß. Jahrb. 1910, S. 508.

') Z. B. in dem Essay: Selbstkunst (Die Alpen, 1911, 9. Heft).
 
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