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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0633
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620 BESPRECHUNGEN.

Verfasser ausführlich die Einfühlungsästhetik von Lipps, dem er allerlei Inkonse-
quenzen vorwirft. Vor allem begleitet die Einfühlung nicht mit unerbittlicher
Notwendigkeit alle unsere Wahrnehmungen — dies zu beweisen bemüht sich
Lipps vergeblich, ist dabei im Auslegen zu munter. Wenn man aber auch die
Voraussetzung von Lipps annimmt, so erschöpft die von ihm beschriebene Art
der Einfühlung nicht das Wesen des Schönen. Seine Definition des Schönen,
»schön sei, was das Gefühl des positiven Lebens bestätigt«, ist rein sensualistisch
(Dubos) und widerspricht der Einfühlungstheorie, die auf den geistigen Ausdruck
des Schönen sich stützt. So ist Lipps gezwungen, zu heteronomen Faktoren zu
greifen, er stellt nämlich zwei formale Prinzipien auf — in unserem Bewußtsein
lassen sich aber keine psychischen Erlebnisse aufspüren, die für den adäquaten
Ausdruck dieser zwei inhaltsleeren Formprinzipien hätten gelten können. Die
psychologischen Voraussetzungen gehen über rein programmatische Erörterungen
nicht hinaus, je mehr sich aber Lipps den Spezialproblemen der Ästhetik nähert,
desto deutlicher kommen die objektiven Bedingungen des Schönen mit ins Spiel,
bis er schließlich einen Begriff der spekulativen Ästhetiker, den »Schein« einführt,
wenn er von der ästhetischen Idealität der ästhetischen Gegenstände redet. — Der
Verfasser bespricht hierauf Langes Illusionstheorie, die Theorie der inneren Nach-
ahmung von Groos, wendet sich dann der normativen (kritischen) Ästhetik zu, indem
er auf die Theorien J. Colins, Windelbands (Präludien) und Cohens eingeht. Die
normative Ästhetik, die das Schöne für einen von zufälligen Schwankungen des er-
lebenden Individuums unabhängigen Wert hält, scheidet sich von der Psychologie,
weil diese in Sachen des Werfens inkompetent ist; sie muß sich aber auf die Hypo-
thesen des überindividuellen Bewußtseins stützen. — Alle diese Hypothesen sind
überflüssig, wenn man auf dem Boden der objektiven Ästhetik steht. Die Einseitig-
keit des Herbart-Zimmermannschen Formalismus zu zeigen, wird dem Verfasser
selbstverständlich leicht. Eine ausschließlich formalistische Ästhetik hält er für un-
möglich. Geht sie nämlich von der Voraussetzung aus, daß gewisse Formverhält-
nisse gewisse Gefühle wachrufen und weist sie diesen Gefühlen die Rolle des ästhe-
tischen Faktors zu, dann verliert sie den Boden einer objektiven Ästhetik und
wird zu einer empirisch-psychologischen. Dagegen hebt der Verfasser den hohen
geschichtlichen Wert der metaphysisch-idealistischen Ästhetik und die große Bedeu-
tung Hartmanns hervor. Er knüpft in seinen positiven Ausführungen an Hart-
manns Theorie der ästhetischen Gefühle an, er hält sie für eine der wichtigsten
Errungenschaften der neueren Ästhetik, modifiziert nur ihren intellektualistischen
Standpunkt.— Leider entspricht dieser positive Teil nicht dem bemerkenswerten,
an scharfen kritischen Hinweisen reichen polemischen Teile. Die erste Bedingung
des Schönen, d. h. nach des Verfassers Meinung des Kunstwerks, ist, daß es einen
Gefühlsinhalt, die zweite, daß es eine dem Gefühlsinhalt entsprechende Form habe.
Schön oder ein Kunstwerk nennen wir also ein jedes Menschen werk, das für
uns ein unmittelbarer Ausdruck des Gefühls ist und dessen Form wir notwendig
als auf diese und nicht andere Weise von dem Gefühlsinhalt gestaltet empfinden.
Ich glaube, daß diese Begründung der objektiven Ästhetik ein jeder Subjekti-
vist als sein Glaubensbekenntnis annehmen wird. Denn der unmittelbare sub-
jektive Eindruck ist es, der uns dabei lenkt, ob diese Übereinstimmung von Ge-
fühlsinhalt und Form sich in dem Kunstwerke aufweisen läßt. Wenn der Verfasser
aber behauptet, daß der Eindruck des Schönen sich zum schönen Gegenstande
verhalte, wie die Süße zum Zucker, so scheint er, wie so manche Verfechter der
objektiven Methode, den Unterschied zwischen dem Gefallen, der ästhetischen
Reaktion und der Empfindung nicht zu sehen, denn das Gefallen ist nicht einfach
 
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