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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0636
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BESPRECHUNGEN. 623

in dem Linienaufbau so fabelhaft durchempfundene Genossin »Löwin, von Pfeilen
durchbohrt, zwei assyrische Basreliefs des 7. vorchristlichen Jahrhunderts, heute
im British Museum. Ein Farbenholzschnitt nach dem großen japanischen Maler
Korin stellt eine Gruppe äsender Rehe von allergraziösester Silhouettierung dar,
Tiere, die man mit den entsprechenden Zeichnungen des frühen Quattrocentisten
Vittore Pisano, genannt Pisanello, vergleichen muß, von denen Piper zwei im
Louvre befindliche herrliche Blätter mit einem Reh und mit einem Bologneser-Hünd-
chen wiedergibt. — Im Gegensatze hierzu repräsentiert der große gotische Raubvogel
am Turmumgange von Notre-Dame in Paris wieder mehr das tragisch-heroische
Element, dem auch die Tiere eines Donatello, des jungen Dürer, des löwenmäßigen
Eugene Delacroix und in gewissem Sinne auch die Honore Daumiers angehören.
Das objektive Herausfühlen des jeweiligen spezifischen Tiercharakters findet man
in größter Meisterschaft in den Handzeichnungen Rembrandts (bei der Mahlzeit
liegende Löwin, Elefant), in Liebermanns feinen und lebensvollen sReitem am
Strande-, in August Gauls bekannten Tierplastiken wieder. Der Humor kommt zu
seinem Rechte in jenem köstlichen Ulmer Holzschnitte, einer Illustration zur Fabel
des Äsop Katze und Maus, in den Zeichnungen Wilhelm Buschs und Tb. Th. Heines.
— Sehr interessante moderne Künstler, die uns im Laufe der Darstellung be-
gegnen, sind der Jagdmaler Ferdinand von Rayski, von dem ein prachtvoll breit
hingestrichenes Stück »Wildschweine* abgebildet erscheint, und der Münchener
Bildhauer Franz Marc: ein paar Pferde in Bronze, ausgezeichnet in dem zugleich
bewegten und geschlossenen Umriß zusammengefügt.

Textlich steht das Kapitel über die moderne Kunst für meinen Begriff wohl
am höchsten. So mutet uns sehr feinsinnig der Passus an, der über die Art der
Vermenschlichung des Tiers in der Anekdotenmalerei einerseits, in der ob-
jektiven Tierdarstellung anderseits handelt. Auch die Bezeichnung von Meuniers
»reitendem Bergarbeiter« als bestes modernes Re iterdenkma 1 ist durchaus
treffend.

Dagegen ist dem Verfasser manch kleiner Fehler in der Behandlung der histo-
rischen Kunstwerke untergelaufen: Die schwarzfigurige Hydria in der Art des Hi-
schylos mit dem schönen Bilde des angeschirrten Rennwagens ist allerspätestens
kurz nach 500 anzusetzen. Die Leoparden auf dem Tierfriese unter diesem Haupt-
bild sind bloße Ornamente, wie sie die altische Vasenmalerei bereits von
Korinth übernommen hatte, ohne jegliche sachliche Bedeutung. Und für einen
»Verband um die Augen, der diesen zur Jagd abgerichteten Tieren erst dann abge-
nommen wurde, wenn das Wild sich zeigte^, fehlt sowohl formal wie auch sach-
lich-kulturhistorisch jeder Anhaltspunkt (vgl. Keller, Antike Tierwelt S. 63, 64). —
Der Satz »Deutschland war immer das Land der Zeichnung. Die großen Maler
brachten Italien, Spanien, Holland, Frankreich hervor« ist in dieser Allgemeinheit
zum mindesten diskutierbar. —

Von Wünschen wegen Verbesserungen bei künftigen Neuauflagen, die natür-
lich, wie der Verfasser im Vorwort auch selber sehr richtig bemerkt, stets mehr
subjektiv sein werden, seien angeführt, daß gerade die romanische Kunst mit
ihrer wunderbaren, einzigartigen Tierornamentik auch noch ein wenig Berücksich-
tigung in dem mittelalterlichen Kapitel verdiente und daß ferner neben dem Col-
leoni des Verrocchio auch der ästhetisch gewiß wertvollere Gattamelata des Dona-
tello im Bilde vorzuführen ist, zumal sich der Vergleich beider Reiterdenkmäler
untereinander künstlerisch so äußerst lehrreich gestaltet. — Schließlich wäre noch
ein Inhaltsverzeichnis der Kapitelüberschriften als praktisch erforderlich zu wünschen.

Diese geringen Aussetzungen können den Gesamtwert aber des schönen
 
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