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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Deri, Max: Kunstpsychologische Untersuchungen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0047
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KUNSTPSYCHOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN. 43

nomischen Kurzverbindungen, die den Vorstellungsbildern eignen, bleibt
aber trotz alledem ein naturalistisch intendiertes, d. h. die Absicht
des Künstlers ging keineswegs dahin, in den vorhandenen Ab-
weichungen vom objektiv angepaßten Abbild irgendwelche
besonderen Oefühlsbetonungen zu geben; sondern diese Ab-
weichungen beruhen auf bloßem Ungeschick oder schreiben sich eben
aus einer labilen Beweglichkeit der Phantasie her, der es genügt, auf
Grund einiger hingeschriebener Merkmale das gewünschte Vorstellungs-
bild zu reproduzieren. Ausschlaggebend bleibt die naturalistische
Tendenz, d.h. die deutlich erkennbare Absicht, durch die Zeichnung
jenen Qefühlsgehalt zur Vermittlung zu bringen, der das Erleben des
wirklichen Sachinhaltes begleitet; sowie die durch Einfühlung
feststellbare Tatsache, daß die Abweichungen des Bildes vom Modell
nicht gebildet wurden, um irgendwelche wertvollen Gefühle zu ver-
mitteln, sondern auf reinem Ungeschick beruhen.

Wenn es also Kunsttheorien gibt, die in einem naturalistisch ge-
malten Mops bloß »zwei Möpse« sehen, so ist es nur das tendenziös
gewählte Beispiel, das das Problem verdunkelt. Man nehme nicht
einen auch als Naturobjekt sachlich ziemlich gleichgültigen Mops,
sondern man nehme einen eindruckstarken, nämlich stark gefühls-
vermittelnden Vorwurf, etwa ein strahlend lachendes Kindergesicht.
Malt man nun diesen Vorwurf streng naturalistisch ab, so wird das
so entstandene Kunstwerk von seinem Gegenstande aus seine starke
Gefühlsvermittlung und damit seinen Wert für das ästhetische
Erleben behalten haben.

Es ist dabei ja ohne weiteres klar, daß selbst das am stärksten
und bewußtesten »naturalistische« Bild noch in vielen Elementen nicht
völlig der Natur entsprechen wird. Schon die Übertragung des Raum-
tiefen auf eine Fläche ist ja eine außerordentlich schwerwiegende Ver-
änderung, so sehr man sich auch in Luft- und Linienperspektive Mittel
erfand, um dem wirklichen Eindruck möglichst nahe zu kommen.
Farbige Plastik gibt die Natur schon weit genauer, wenn auch hier
noch manche Reste bleiben. Aber auch hier kommt es eben auf die
Tendenz an. Wir merken es einem Bilde in der weitaus größten
Zahl der Fälle ohne weiteres an, ob es naturalistisch gemeint ist oder
nicht. Und wenn dies der Fall ist, dann verlangt das Werk den guten
Willen, sich dem Eindruck der gebrachten naturalistischen Elemente
hinzugeben. Der Beweis für diese Anschauung kann auch darin ge-
sehen werden, daß wir bei derartigen Bildern für Abweichungen
vom Naturwirklichen außerordentlich empfindlich sind. Hier stört jeder
Arm, der »zu lang« ist, jedes von der natürlich gewohnten Proportionie-
rung abweichende Maß. Wir sind gleich mit dem Urteil bei der Hand,
 
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