Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

DOI Artikel:
Deri, Max: Kunstpsychologische Untersuchungen, [1]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0049
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTPSYCHOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN. 45

beim Ansehen der »trotzigen« Führung von Oebirgslinien, der »boh-
renden« Konturen eines Baumstammes, des »kapriziösen« Buges von
Zweigen, der »behäbigen« Wellung einer Ebene, auffallender Färbung
von Blättern oder Blüten. Und besonders die volkstümlichen Namen
von Naturgegenständen (etwa »stolzer Heinrich« für den gerade und
hochwachsenden gemeinen Weiderich) sind reich an hierhergehörenden
Beziehungen. —

Man sieht, wie verwickelt schon bei dem anscheinend klarsten
Sinn, dem Augensinn, die Verhältnisse werden; und zwar bereits auf
einem Punkte werden, wo noch nicht einmal alle Möglichkeiten der
Verarbeitung von Allgemeingefühlen in Symbole erschöpft sind.

Die Möglichkeit des Erfindens von Gefühlssymbolen überhaupt
ließ sich auf das Vorhandensein von Reflexäußerungen des Menschen
zurückführen. Von diesen Reflexäußerungen wurden bisher (zur Er-
örterung der Liniensymbole) nur jene Gesten des menschlichen Körpers
benützt, die sich als Reaktionsbewegungen gegen die Schwerkraft er-
geben. Nun besitzen wir aber noch mehr Reaktionsgruppen, die im
Grunde mit sichtbaren Reflexäußerungen verknüpft sind und damit
zu Ausdruckszeichen für Gefühle werden können. Es sind dies dyna-
mische und rhythmische Ausdruckswerte, soweit sie für Augenerfah-
rungen fixierbar sind, sowie die Verhältnisgrade der Farben- und Licht-
gebung in einem Bilde.

Das Besondere dieser Gruppen ist, daß sie eine eigentümliche
Mittelstellung zwischen dem objektiven Eindruck eines Reizes der
Außenwelt und einem Gefühlssymbol einnehmen. Sie können einmal
so und einmal anders gemeint sein.

Das Dynamische einer Erscheinung, d. h. ihre besondere Größe
oder ihre besondere Kleinheit oder ihr Durchschnittsmittelmaß, machen
mir einen sicher fühlbaren objektiven Eindruck: das besonders Volu-
minöse einer Form, das besonders Breite einer Linie, die besondere
Intensität eines Lichtes erregen in mir ein Gefühl, das sich deutlich
als eine direkte Antwort auf den Reiz, als klarer Objekt-Subjektvorgang
beobachten läßt.

Aber auch die Umkehrung ist möglich: daß ich mir aus einer stark
bewegten inneren Stimmung heraus, und zwar als Symbol für diese,
eine besonders große oder kleine Form schaffe, in dynamischen Ab-
messungen einer inneren Seelenverfassung Ausdruck geben will.

Diese Tatsache beruht, soweit sie gefühlssymbolischer Natur ist,
darauf, daß ich in kräftigen, starken Stimmungen der Seele reaktions-
weise das Empfinden habe (ob auf veränderten Blutdruck oder andere
physiologische Reaktionen zurückführbar, ist hier gleichgültig und bleibe
dahingestellt), als ob meine Muskeln, mein ganzer Körper wachse, zu-
 
Annotationen