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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Moog, Willy: Die homerischen Gleichnisse, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0132
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128 WILLY MOOG.

sind gerade die Oleichnisse ein Abdruck des persönlichen Geistes.
Daß auch Gleichnisse und mehr noch kürzere Vergleiche einfach durch
Tradition übernommen sein können, ist selbstverständlich. Der Dichter
kann sie sich von seinen Vorgängern aneignen, oder er kann auch
aus prosaischer, volkstümlicher Redeweise schöpfen. In diesem Sinn
sind auch die homerischen Gleichnisse zum größten Teil sicher nicht
frei erfunden. Aber Eigentum des Dichters ist die Ausgestaltung der
Bilder, die neue Form, die er mehr oder weniger überkommenen Vor-
stellungen verleiht, die Art, wie er sich in diese einlebt. Die ausge-
führten Gleichnisse bei Homer lassen uns oft auf eine lebhafte Ge-
staltungsfreude schließen, auf ein Verlangen nach persönlichem Aus-
druck, auf einen Drang, der Phantasie Spielraum zu lassen. Wenn
man sprachlich-stilistisch das nicht nachweisen kann, sondern meist
unpersönliche, epische Formeln zu finden meint, so ist zu berück-
sichtigen, daß eben die Menschen zu Homers Zeit noch gar nicht die
Fähigkeit haben konnten, sich in individuell abgetönter Rede poetisch
auszudrücken; das ist erst eine Errungenschaft der höheren Kultur.
Noch heute ist der Mann aus dem Volke in seiner Sprache nach
Wortschatz und Syntax beschränkt. Die Formen der Poesie setzten
sich in langer Entwicklung fest und wurden eben die Formen, in
denen man sich ausdrücken mußte, wenn man dichten wollte. Wir
haben nur noch die äußeren Reste von Dichterwerken; das Leben,
das die Künstler hineingaben, können wir nicht mehr unmittelbar
nachahmen. Wenn uns die Ilias so ganz »objektiv« erscheint, so hat
das sicher zum großen Teil seinen Grund darin, daß wir die Formen
des Ausdrucks eben als bloße Formeln empfinden, daß wir uns vom
Standpunkt einer raffiniert ausgebildeten Sprache nicht mehr zurück-
versetzen können in eine solche, die mit einfachen Mitteln arbeiten
mußte. Wer sagt uns aber, daß die Dichter, die sich in jenen Formen
ausdrückten, weniger dabei fühlten und weniger subjektiv sein wollten?

(Schluß folgt.)
 
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